Ein Mann ...

Ein Mann ...

... ein Rad ...

... ein Rad ...

... eine Sehnsucht.

... eine Sehnsucht.

Bonusland

Ein Mann, ein Rad, eine Sehnsucht

Von Götz Nitsche

Reinlesen!

März 2019 (1. Auflage)

Premium-Paperback mit Einbandklappen, 352 Seiten

ISBN: 978-3-95889-197-5

€ 14,95 [D] • € 15,40 [A] • SFr. 21,90* [CH]

Ein besonderes Rad-Abenteuer

Nach dem Studium steht Götz eine erfolgversprechende Karriere als Ingenieur bevor, doch irgendetwas zieht ihn in die andere Richtung. Anstatt sich einen Job zu suchen, schultert er seinen Rucksack und folgt dem Sommer um die Welt. Bald packt ihn eine Abenteuerlust, die die ausgetretenen Touristenpfade Lateinamerikas nicht mehr befriedigen können. Also kauft er sich ein Fahrrad und bereist sein nächstes Reiseziel, Neuseeland, per Pedale.

In einem einsamen Abschnitt der Westküste findet er einen alten Tunnel, durch den er einen verborgenen Strand erreicht. Wie ein Bonuslevel in einem alten Computerspiel erscheint ihm dieser Strand, wie das ultimative Häkchen auf seiner Bucket List. Fortan versucht er, diesen Ort, dieses Gefühl wiederzufinden. Er reist durch die Regenwälder des Nordens, über die rollenden Hügel des Westens, bis zu den Kratern der Vulkane im Zentrum der Nordinsel. Er quält sich durch die raue Westküste der Südinsel, erforscht die feinen Sandstrände der Nationalparks und überschreitet die Südalpen in einem Mammutmarsch. Er trinkt aus Flüssen, wäscht sich in Seen und schläft unter Brücken.

Schließlich lernt er Menschen kennen, die ihm den Spiegel vorhalten, die ihm zeigen, was ein erfülltes Leben wirklich ausmacht. Er muss feststellen, dass er mit seiner Jagd nach dem Abenteuer die Sorgen über die Zukunft in der Heimat nicht übertönen kann. Und schließlich begreift er, worum es auf seiner Reise wirklich geht.

Stimmen zum Buch

Leseprobe

Die Weisheit des Alters

Mit einem Lächeln im Gesicht rolle in ein bezauberndes Tal. Blumen blühen am Straßenrand. An den Hängen grasen ein paar Rinder. Plötzlich sehe ich einen Mann.

Er mag gerade so im Rentenalter sein und sieht aus wie ein veraltetes Stereotyp von Männern dieses Alters. Er trägt ein kariertes Hemd und stützt sich beim Gehen auf einen Holzstock. Das graue Haar sprießt in den Ohren dichter als auf dem Kopf. Grüßend hebt er die Hand, als ich ihn passiere.

Er ist die erste Person, die ich sehe, seit ich in Marokopa mein Wasser aufgefüllt habe. Ich halte an, um ihn zu fragen, wie ich den Weg zum Strand finde. Laut Karte müsste es bald eine kleine Abzweigung geben, die mich direkt ans Meer führt. Da möchte ich heute Nacht kampieren. Ohne Eile schließt er zu mir auf. Er lächelt freundlich, als er mich erreicht.

»Friedlich hier, nicht wahr?«

Das sagt er wirklich. Ich schwöre, es ist das erste, was dieser völlig fremde Mann zu mir sagt. Er wirkt vollkommen entspannt. Und er hat so was von recht.

Ich frage ihn nach der Abzweigung zum Strand.

»Ganz einfach«, sagt er und zeigt auf einen unbestimmten Punkt am Ende des Tals. »Die kannst du nicht verfehlen. Ist auch gar nicht mehr weit. Du hast noch viel Zeit bis zum Sonnenuntergang. Hättest du vielleicht Lust auf eine Tasse Tee?«

Er lächelt so aufrichtig und herzlich, dass ich gar nicht anders kann, als Ja zu sagen. Sein Haus liegt ganz in der Nähe. Wir setzen uns in die Auffahrt direkt vor die Haustür und genießen den Spätsommertag. Sein Haus ist schlicht, mit einer Holzfassade ohne besondere Isolierung, hat keinen Keller, dafür eine große Garage daneben. Er ist eigentlich Lehrer, aber das Leben in der Stadt habe ihm zugesetzt, erzählt er. Beinahe muss ich laut lachen. Die Stadt hat ihm zugesetzt? Neuseeländische Städte – mal abgesehen von Auckland vielleicht – haben nichts mit deutschen Wohnsiedlungen gemein. Es gibt keine Mietskasernen mit Dutzenden Zweizimmerwohnungen. Keine überfüllten Straßen und genervten Autofahrer, keine U-Bahnen und keine Betonwüsten.

Und dennoch hat dieser Mann für sich beschlossen, dass ihn ein Leben in der Stadt nicht glücklich macht. Mit sechzig Jahren wagte er den Neuanfang. Nun lebt er die meiste Zeit hier und züchtet Bullen. Während wir reden, wirft er immer wieder einen Blick in die umliegenden Berge und beobachtet seine Tiere, die an den Hängen grasen. Es sind höchstens eine Handvoll Bullen, die aber heute aus irgendeinem Grund herumtollen wie junge Hunde. Vielleicht sind sie hier genauso zufrieden mit ihrem Leben wie ihr Besitzer.

Wir plaudern ein wenig über dieses und jenes, während wir Tee trinken. Dabei erinnert mich der alte Mann an die Vorstellung, die ich von buddhistischen Mönchen habe. In sich ruhend, immer ein Lächeln auf den Lippen. Er hat augenscheinlich begriffen, was es heißt, sein Leben zu genießen. Neidvoll betrachte ich die Blumen in der Einfahrt, die offene Garage, die er wohl niemals abschließen muss, und die Rinder an den Hängen. In einer Zeit, in der Multitasking und Entschleunigung zwei ebenso gefragte wie widersprüchliche Anforderungen an uns darstellen, machen wir doch weder das eine noch das andere wirklich konsequent. Wir fliegen um die halbe Welt und mieten uns einen Bus, diese Entschleunigung in der Dose, und hetzen in zwei Wochen durchs Land. Um anschließend zwischen Studium, Partys und Jobs davon zu berichten, wie entspannend das Ganze doch war.

Ich bin froh, dass ich mit dem Fahrrad einen Weg gefunden habe, die Welt richtig kennenzulernen. Und dass ich die Zeit dazu habe. Aber wenn ich wieder nach Hause komme, werde ich mir einen Job suchen, wie alle anderen auch. Als fertig studierter Ingenieur erwartet mich ein guter Verdienst, aber auch ein Leben für den Job. Ich werde vermutlich in eine größere Stadt ziehen, vielleicht irgendwann heiraten und ein Reihenhaus kaufen. Mein Leben liegt so offensichtlich vor mir, weil es schließlich der Weg ist, den alle gehen. Das ist die Maxime, nach der ich strebe. Aber wer sagt mir eigentlich, dass eine Karriere in der Stadt erfüllender sein wird als ein einfaches Leben auf dem Land? Naturverbunden und bescheiden. Einfach, aber glücklich. Der alte Mann hat seine Entscheidung getroffen und sieht nicht so aus, als würde er sie bereuen. Wie auch, bei dem Wetter. Ich habe das Gefühl, dass mich diese Begegnung noch eine Weile beschäftigen wird.

 

***

Das Bonuslevel

Durch den Tunnel erscheint mir der Strand ein wenig surreal. Von der anderen Seite des Hügels lässt er sich nicht erahnen, man hört nicht mal das Meer. Ich bin zuvor stundenlang geradelt und könnte überall sein. Dann betrete ich dieses dunkle Loch, sehe kaum etwas außer das Licht am Ende des Tunnels, und zack, plötzlich bin ich im Paradies. Es erscheint mir ein wenig so, als hätte in dem Computerspiel, mit dem ich mir an manchen Abenden die Langeweile vertrieb, bevor ich diese Radreise begann, eine neue Welt betreten. Durch das geheime Portal aufs Bonuslevel. Zugang nur für Leute, die davon wissen. Wie wenig ich doch diese alte Reise, dieses alte Leben vermisse! Ich brauche keinen Computer, ich finde auch in der realen Welt Traumwelten. Beglückt sehe ich mich um.

Feiner, dunkler Sand erstreckt sich zu beiden Seiten. Zur Linken verlieren sich ein paar Fußspuren, vermutlich gehören sie den Jungs von vorhin. Irgendwo hinter der nächsten Biegung muss die Flussmündung liegen. Zur Rechten sehe ich nichts außer Meer und Sand. Die Wellen umspielen ein paar Felsen. Die schwere Abendsonne bricht durch die Gischt in ein diesiges Licht. Hinter mir erscheint die dicht bewachsene Dünung unüberwindbar. Würde man sich nur ein paar Meter von dem Tunneleingang entfernen, bestünde die Gefahr, dass man ihn verliert, den Zugang zurück in die richtige Welt. Nicht die schlechteste Vorstellung, denke ich.

Ich hebe die Arme und atme tief ein. Es ist toll hier! Diesen Moment muss ich festhalten! Ich positioniere die Kamera auf einen Vorsprung, aktiviere den Selbstauslöser und wiederhole die Pose. Nicht schlecht, aber am Ende steht da nur ein Typ an einem Stand. Die Abgeschiedenheit und Ursprünglichkeit wird man auf dem Foto nicht erkennen. Also ziehe ich mich aus, splitterfaser- nackt, und mache das Ganze noch mal. Einfach, weil mir danach ist. Natürlich fotografiere ich mich von hinten, frei schwingend zur See, die Beine schön zusammen, damit man nicht zu viel sieht. Aber ich spüre dieses Kribbeln in mir, diesen Drang, diese Lebensfreude und will sie später meinen Freunden zeigen können. Ein simples Nacktbild reicht dazu nicht aus. Also gebe ich mir noch mal zehn Sekunden Vorsprung und drücke erneut auf den Auslöser. Ich stoße einen wilden Jauchzer aus und stürme zum Meer.

Ungefähr in dem Moment, als die Kamera ihren Dienst verrichtet, sehe ich den Angler und er mich. Er schlendert von der Flussmündung zurück und hält kurz inne, als er einen schreienden, nackten Europäer ins Meer stürzen sieht. Die Fußspuren gehören dann wohl doch eher nicht zu den abgereisten Māori. Ups. Hätte ich meinen wachen Verstand nicht zusammen mit der Diplomarbeit abgegeben, wäre mir womöglich auch aufgefallen, dass die Spuren zwar wegführen vom Tunnel, nicht jedoch zurück. Und so guckt der Angler ziemlich verdutzt ob eines jodelnden Nackedeis, dem es die pure Freude zu sein scheint, sich in die eiskalten Fluten der Tasmanischen See zu stürzen. Er jodelt weiter, der Nackedei, trotz der peinlichen Entdeckung durch einen unschuldigen Passanten. Weil ihm danach ist!

Der physische Reinigungseffekt des Seebades hält sich in Grenzen. Meine verschwitzte Haut wird durch das Salzwasser kaum geschmeidiger, und in den Ecken, wo sich zuvor der Schweiß gesammelt hat, kitzelt nun der Sand. Aber für die Seele ist es eine Wohltat! Da der Angler noch immer emotionslos in meine Richtung glotzt, als die Kälte den Spaß am Baden verdrängt, verdecke ich den Beleg für besagte Kälte auf dem Rückweg mit einer Hand und grinse fröhlich zu ihm hinüber.

Dieser Tag hat mir so ziemlich alles geboten, was ich mir von dieser Reise erhofft habe, denke ich am Abend. Nicht unbedingt der glotzende Angler, aber im Grunde der gesamte Rest. Schöne Natur. Einsame Straßen. Die inspirierende Begegnung mit dem alten Mann. Das Überwinden meiner Furcht und meiner Vorurteile gegenüber Fremden, den vermeintlichen Rowdys. Und nun das, mein Bonuslevel: der geheime Strand. Jetzt, nachdem ich ein paar Fertignudeln mit Würstchen gegessen habe, habe ich ihn während des Sonnenuntergangs ganz für mich allein.

Für einen Augenblick muss ich an das Traveller-Pärchen aus La Paz denken, das seit Jahren gemeinsam die Welt bereist. Und ich denke an meine Ex-Freundin und daran, wie es wohl wäre, wenn wir gemeinsam hier wären. Ich spüre einen winzigen Stich in der Brust, doch dann wird mir bewusst, dass es nicht dasselbe wäre. Wenn man zu zweit reist, ist jedes Erlebnis, jede Begegnung, jeder Ort nur eine weitere Station im Fotobuch. Dieser Strand wäre eine bloße Erinnerung, doch nun, da ich allein bin, im Hier und Jetzt, ist er viel mehr als das. Er ist ein Gefühl.

Es fühlt sich an, als gehörte die gesamte Küste, das gesamte Land, nur mir allein. Ich setze mich auf einen Felsen und mir die Kopfhörer auf die Ohren. Die letzten Sonnenstrahlen wärmen mein salziges Gesicht. Ich lecke mir den Geschmack von Meer und Würstchen von den Lippen und schließe für einen Moment die Augen. Ich grabe die nackten Füße in den noch warmen Sand. Dann betrachte ich den schönsten Sonnenuntergang meines Lebens. Die vollkommene Entschleunigung. Das Paradies.

 

***

 

- Ende der Leseprobe -

Autor
Götz Nitsche

(© Götz Nitzsche)

Götz Nitsche, 1985 in Freiburg geboren, lebt in der Nähe seiner Alma Mater in München. Wenn er gerade nicht auf Reisen ist oder Bücher schreibt, fährt er jeden Tag auf dem Rad zu seiner Arbeit als Elektroingenieur.

www.facebook.com/goetznitscheautor

www.goetznitsche.de

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