Kojoten- statt Sirenengeheul
Kai Blum im Gespräch mit Claudia Heuermann
Das USA 151-Autorenduo Petrina Engelke und Kai Blum und Land oder Leben-Autorin Claudia Heuermann haben eine Gemeinsamkeit: Sie wanderten in die USA aus und berichten in ihren Büchern aus unterschiedlichen Perspektiven über ihren amerikanischen Alltag. Während es Petrina Engelke und Kai Blum in die Großstädte zog, lebte Claudia Heuermann von 2011 für sieben Jahre lang inmitten unberührter Natur in den Catskill Mountains. Was sie dort als Selbstversorgerin auf einer Farm erlebte, erzählt sie Kai Blum im Autoren-Zwiegespräch.
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Kai Blum (KB): Was hat dich in die nordamerikanische Wildnis gezogen? Warum nicht einfach Landleben in Deutschland?
Claudia Heuermann (CH): Ich habe schon als Kind davon geträumt, in die nordamerikanische Wildnis auszuwandern, und dieser Traum schmorte auch immer irgendwo in meinem Hinterkopf. Als es mich dann beruflich immer wieder nach New York verschlagen hat und ich einen Amerikaner heiratete, da rückten die Catskills buchstäblich in greifbare Nähe. Wir haben jedoch auch einen Umzug in den Schwarzwald diskutiert, darauf hätte ich mich schon eingelassen, mein Mann jedoch nicht. Und einen ordentlichen Hof hätten wir dort nicht bezahlen können, da war die Farm in den Catskills deutlich günstiger.

KB: Aber ihr wart ja nicht nur zweit. Wie alt waren eure Kinder, als ihr diesen Schritt gewagt habt?
CH: Als es ernst wurde, waren die beiden 4 und 6 Jahre alt. Und letztendlich waren sie der Grund und der Auslöser dafür, dass der Traum Realität wurde. Die Stadt kam mir plötzlich zu eng, zu laut, zu giftig vor, ich wünschte mir für meine Kinder ein naturnahes Leben und eine Umgebung, in der sie gesund und natürlich aufwachsen können. Zu teuer für uns als Familie wurde das Stadtleben außerdem, da lag es also nahe, die Möglichkeit zu ergreifen und den Traum vom Leben in der Wildnis wahr zu machen!

KB: Trotzdem eine ganz schöne Umstellung, oder?
CH: Allerdings! Ich bin ja eigentlich ein echtes Stadtkind, im Ruhrgebiet aufgewachsen, und habe mein ganzes Leben in Großstädten zugebracht. Und dann war da auf einmal Kojoten- statt Sirenengeheul, ansonsten Stille. Wenn man nachts Geräusche hörte, wusste man: Das ist kein Nachbar, das ist irgendein Tier. Zivilisationsgeräusche gab es nicht. Auch an diese absolute Dunkelheit habe ich mich nie gewöhnen können. Und dann waren da natürlich auch noch die ganzen anderen, völlig neuen Herausforderungen: Melken, Geflügelhaltung, Gemüseanbau … Es war sicher die größte Umstellung meines Lebens!
KB: Und ganz gefahrlos war es ja auch nicht.
CH: Das war mir, ehrlich gesagt, anfangs nicht so bewusst. Ich fand die wilden Tiere um uns herum total faszinierend und aufregend, eigentlich wollte ich ja schon immer mal einen Bären in freier Wildbahn sehen! Ich glaube aber gar nicht, dass Bären und Kojoten die größte Gefahr darstellten – die halten sich ja eigentlich lieber von uns Menschen fern. Zunehmend schien es mir, als wäre das Gefährlichste die gefühlte Einsamkeit, dazu die schießwütigen Bewohner der Umgebung – und die krankheitsbringenden Zecken, zumal die Krankenkassen in den USA langwierige Behandlungen meist nicht oder nur teilweise bezahlen.

KB: Auf die Zeckenplage wollte ich gerade zu sprechen kommen. Da schaudert man beim Lesen richtig. Wie habt ihr das nur ausgehalten?
CH: Es war der Wahnsinn! Und ich hab’s nicht ausgehalten … So richtig schlimm wurde es aber erst in den letzten Jahren, sicher wegen der warmen Winter, als sie dann wirklich in rauen Mengen überall waren. Die erste Aktion jeden Morgen hieß tick patrol – da wurde genau geschaut, wie viele von ihnen im Türrahmen lauerten und wie vorsichtig wir durch die Tür treten mussten. Es war zum Verrücktwerden und ein bisschen verrückt bin ich auch heute noch: Wenn ich irgendwo auf Gras trete, untersuche ich instinktiv meine Schuhe und wenn ich irgendwo einen schwarzen Punkt sehe, dann schaue ich automatisch genauer nach, ob er vielleicht Beine hat.
KB: Wie sind denn die anderen Leute in der Gegend damit umgegangen? Mit der chemischen Keule?
CH: Ich glaube, bei uns war es schlimmer als bei den meisten anderen: Schuld waren unsere vielen Steinmauern und Holzhaufen, in denen unzählige Tiere hausten: Streifenhörnchen, Kaninchen, Mäuse, Flughörnchen ... Es war die ideale Umgebung für großangelegte Brutstätten aller Art. Ansonsten – ja, Pestizide waren recht populär, viele Leute haben auch einfach Gras und Büsche um ihre Häuser herum entfernt und durch Schotter oder Sand ersetzt, und tatsächlich gab es auch Leute, die den Zeckenstichen keine Bedeutung zumaßen. Allerdings erkrankte bestimmt die Hälfte unserer Bekannten zu irgendeinem Zeitpunkt an Borreliose, davon auch mehrere an der chronischen Form.

KB: So hattest du dir das gesunde Leben in der Natur sicher nicht vorgestellt.
CH: Ganz und gar nicht! Und jetzt muss ich über was anderes als über Zecken sprechen, denn mich kribbelt's schon überall. Ein anderes Thema war der Staub, unglaublich, wie staubig es auf einer Farm zugeht, alles staubt wie verrückt: Tiere, Futter, Stroh, pulverisiertes Ungeziefer. Man ahnt ja nicht, welche Pathogene man sich da so einfangen kann. In einem Jahr griff die Vogelgrippe um sich, und dann gab es noch die Giftpflanze Poison Ivy, die überall wucherte ... Krankheit und Verderben lauerten an jeder Ecke! Aber natürlich gab es auch sehr viel Schönes und wirklich Gesundes: Das selbstgezogene Gemüse, unsere Eier von glücklichen Hühnern, die selbstgemolkene Milch und der selbstgemachte Käse. Alles war ja vom Anfang bis zum Ende selbst produziert, und man konnte sicher sein: Gesünder geht’s nicht. Das galt letztendlich auch für das Fleisch der Tiere, die wir geschlachtet haben.
KB: Gibt es noch andere Dinge, die du jetzt, zurück in der Großstadt, vermisst?
CH: Die Ruhe, die Weite. Die endlosen Wälder. Die Stadt kommt mir jetzt noch lauter und enger vor als zuvor. Auch meine Tiere vermisse ich, man gewöhnt sich doch sehr an das Zusammensein. Tatsächlich träume ich jetzt schon wieder davon, eines Tages ein kleines Haus in den Bergen zu haben, mit einem kleinen Garten und ein paar Hühnern – die ich aber nicht essen werde, denn meine Erlebnisse in der Wildnis haben mich zum Vegetarier gemacht!
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Sie wollen mehr über Kai Blum und Claudia Heuermann erfahren? Hier geht es zu Land oder Leben und USA 151.
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Der Autor
Kai Blum
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