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Legendäre Autokinos entlang der Route 66

Jens Wiegand, Autor des Routenreiseführers »Route 66« nimmt uns mit zu den geschichtsträchtigen Autokinos am Rand der berühmten Route 66.

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Richard Hollingshead aus New Jersey war ein umtriebiger Geschäftsmann. Immer auf der Suche nach neuen Geschäftsideen, beobachtete er genauestens das Konsumverhalten seiner Landsleute. Die USA befanden sich am Beginn der 30er Jahre mitten in der großen Depression. Die Menschen können in schwierigen Zeiten auf vieles verzichten, doch Hollingshead erkannte, dass es Ausnahmen gab, die keiner missen wollte: das Auto und das Kino. Und damit war die Idee geboren, beides miteinander zu kombinieren.

Er begann, im Garten seines Hauses mit einem Projektor und einer improvisierten Leinwand zu experimentieren. Die entscheidende Idee dabei war, den Untergrund so zu präparieren, dass die Schnauze des Autos einige Grade nach oben schaute. So hatten die Besucher auf allen Plätzen eine ungehinderte Sicht auf die Leinwand. 1932 wurde die Patenturkunde für seine Erfindung ausgestellt und noch am selben Tag begannen die Bauarbeiten für das erste Autokino. Kaum zwei Monate später fand die erste Aufführung statt.

Essen, trinken, rauchen und küssen

Doch in den schwierigen 30ern breitete sich die Idee nur langsam aus. Gegen Ende des Jahrzehnts gab es gerade mal 19 Autokinos im Land. Und Hollingheads erster Versuch war 1936 schon wieder geschlossen worden. Erst nach dem 2. Weltkrieg ging die Kurve steil nach oben. Von 155 »Ozoners«, wie die Autokinos damals genannt wurden, schnellte ihre Zahl binnen zehn Jahren auf über 4.000. Die kleinen Kinos boten gerade mal Platz für 50 Autos, das größte stand in Detroit und hatte Kapazitäten für 3.000 Wagen.

Das Autokino bot den Besuchern eine Menge Vorteile gegenüber den klassischen Filmtheatern. Im Auto konnte man nach Herzenslust essen, trinken, rauchen und sprechen, was im normalen Filmtheater nicht so gern gesehen wurde. Familien konnten ihre kleinen Kinder auf dem Rücksitz schlafen lassen, während sich die Eltern am Film vergnügten. Außerdem bot das Auto vor allem jungen Paaren eine gewisse Privatsphäre – nicht umsonst wurde die hinterste Reihe in den Kinos auch die »love lane«, die Liebesreihe, genannt.

Um das Geschäft zu maximieren wurden natürlich Speisen und Getränke verkauft und allerlei Ideen entwickelt, um die Aufenthaltsdauer der Gäste zu verlängern. Minigolf, Ponyreiten und Kinderspielplätze waren nur einige der Ideen der kreativen Geschäftsleute. Doch das Autokino hatte von Anfang an immer mit den gleichen Problemen zu kämpfen: An Regentagen musste die Vorstellung ausfallen und niedrige Wintertemperaturen erlaubten vielerorts nur einen saisonalen Betrieb. Beginnen konnte der Film erst mit Einbruch der Dunkelheit, an Nachmittagsvorstellungen war nicht zu denken. Die Einführung der Sommerzeit verschob den Filmbeginn eine weitere Stunde nach hinten.

Kein Exportschlager

Vielleicht auch deshalb hatte das Konzept auf der gegenüberliegenden Seite des Atlantiks weniger Erfolg. Erst 1960 eröffnete in Frankfurt das erste europäische Autokino, doch letztendlich hat sich die Idee im europäischen Raum nie wirklich durchgesetzt. Heutzutage haben Autokinos in unseren Landen Seltenheitswert.

Aber zurück in das Mutterland des Autokinos: Anfang der 70er Jahre wurde mit einer grandiosen technischen Neuerung versucht, das Autokino weiterhin attraktiv zu halten: Der Ton des Films musste jetzt nicht mehr aus dem Lautsprecher dröhnen, sondern wurde per Mittelwellensender übertragen. Ein Radio hatten mittlerweile praktisch alle Autos und um keine Frequenzgebühren entrichten zu müssen, verlegte man Koaxialkabel als Antennen im Untergrund. So konnte mit extrem schwacher Energie gesendet werden.

Doch irgendwie kam die neue Technik zu spät, das Autokino hatte den Zenit seines Erfolges überschritten. Inzwischen konnte sich jeder einen Fernseher leisten und die 80er Jahre wurden von einem Bauboom geprägt, der die Wohngebiete bis zu den Autokinos am Stadtrand wachsen ließ. In der Folge wurde das Land teurer und das Geschäft immer weniger rentabel. Die Verbreitung des Videorekorders tat ihr übriges – Autokinos starben wie die Fliegen.

Aus Liebe zur Nostalgie

In den letzten Jahren hat eine Nostalgiewelle die endgültige Ausrottung verhindert. Viele alte Drive-ins wurden modernisiert und neu eröffnet. Sogar eine konspirative Untergrundbewegung hat sich entwickelt. Auf öffentlichen Parkplätzen vor einer möglichst weißen Gebäudewand wird ein Projektor aufgebaut, der den Ton per UKW Sender verbreitet, und die Gemeinde per Internet und SMS mobilisiert. Nach zwei Stunden ist der unangemeldete Spuk vorbei und die mobile Anlage abgebaut. Meist werden Alternativ- und Untergrundfilme gezeigt.

Derzeit gibt es noch knapp 400 Autokinos in den USA. Entlang der Route66 hatten sich in der Blütezeit 47 Autokinos aneinandergereiht, heute sind gerade mal acht in Betrieb. Sie verteilen sich halbwegs gleichmäßig über die gesamte Strecke. Allerdings schließen viele Autokinos in den Wintermonaten oder werden nur am Wochenende betrieben. Per Internet oder Telefon kann man sich aber rechtzeitig informieren, wenn man sich den nostalgischen Spaß nicht entgehen lassen will.

Autokinos entlang der Route66

Ein Autokino-Besuch ist wetterabhängig, daher vergewissern Sie sich per Telefon, ob eine Vorstellung stattfindet.

Illinois – Litchfield

Sky View Drive-In
eröffnet 1950, Kapazität: 400, geöffnet: April – Mitte Oktober, wetterabhängig
Adresse: N Route66, an der Route66, etwa 0,6 mi/1 km vom Zentrum
Telefon: 1-217-324-4451

Illinois – Springfield

Route66 Drive-in
eröffnet 1978, Kapazität: 400, geöffnet: Memorial Day bis Labor Day (Anfang Mai bis – Anfang September), wetterabhängig
Adresse: 1700 Recreation Drive, Springfield, auf der Old Chatham aus Springfield nach Süden, nach der Autobahnbrücke die erste links
Telefon: 1-217-546-8881

Missouri – Carthage

66 Drive-In
eröffnet 1949, 2003 in das National Register of Historic Places America aufgenommen, Kapazität: 400, geöffnet: April – Oktober, wetterabhängig
Adresse: 17231 Old 66 Blvd, Carthage, aus dem Zentrum auf der Oak St nach Westen, 1 km nach der Autobahn links auf den Old 66 Blvd, nach 3 km auf der rechten Seite
Telefon: 1-417-359-5959

Missouri – Cuba

19 Drive-In
eröffnet 1954, Kapazität: 250, geöffnet: März – Oktober, wetterabhängig
Adresse: 5853 HW19, Cuba, auf dem HW19 nach Norden, 500 m nach der Autobahnbrücke rechts
Telefon: 1-573-885-7752

Oklahoma – Tulsa

Admiral Twin Drive-In
eröffnet 1951, Kapazität: 1200, geöffnet: März – Oktober von Freitag bis Sonntag, wetterabhängig
Adresse: 7355 E Easton St, Tulsa, HW244 Exit 11, nach Norden, rechts in die E Easton St
Telefon: 1-918-878-8099

Texas – Amarillo

Tascosa Drive-In
eröffnet 1952, geöffnet: Freitag bis Sonntag, wetterabhängig
Adresse: 1999 Dumas Dr, Amarillo, HW87 nach Norden, Exit Martin Luther King Blvd, zweimal links
Telefon: 1-806-383-3882

New Mexico – Las Vegas

Fort Union Drive-In
eröffnet 1951, Kapazität: 350, geöffnet: Mai – September, Freitag bis Sonntag
Adresse: 3300 7th St, Las Vegas, aus dem Zentrum auf der 7th etwa 3 mi/5 km nach Norden, auf der rechten Seite
Telefon: 1-505-425-9934

Kalifornien – Barstow

Skyline Drive-In
eröffnet 1966, Kapazität: 600, geöffnet: ganzjährig, Montag und Dienstag geschlossen.
Adresse: 31175 HW58, Barstow, der 1st Ave nach Norden folgen über Bahnlinie und Fluss, Straßenverlauf ca. 4 km folgen
Telefon: 1-760-256-3333

Aktualisiert am 4. Januar 2019.


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Der Autor

Jens Wiegand

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