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Die Geschichte der Fettnäpfchenführer

Was ist das eigentlich, ein Fettnäpfchenführer? Wie kommt man auf die Idee, eine ganze Buchreihe über das Blamieren auf Reisen auf den Markt zu bringen? Und sind wir bei CONBOOK eigentlich auch so tollpatschig wie die Protagonisten unserer erfolgreichsten Buchreihe? Das alles werden wir seit dem großen Relaunch 2019 häufig gefragt – hin und wieder auch von unseren Autorinnen und Autoren. Sylvie Gühmann, Autorin des Fettnäpfchenführers Ostfriesland, hat Verleger Matthias Walter mal auf den Zahn gefühlt, was hinter der Geschichte der Fettnäpfchenführer steckt.

 

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Sylvie Gühmann (SG): In Interviews zu meiner Ode an das Moin bin ich bisher fast jedes Mal gefragt worden, was hinter den Fettnäpfchenführern steckt. Also?

Matthias Walter (MW): Das führt uns zurück in die frühen Zeiten des CONBOOK Verlags. Das war 2009, zum damaligen Zeitpunkt habe ich gerade das erste »richtige« Programm zusammengestellt und wusste im Grunde nur, dass ich Menschen gerne etwas über fremde Kulturen erzählen wollte. Ich mochte die Idee eines Kulturführers und ich mochte auch den Ansatz – was sicherlich auch meinem damaligen Alter geschuldet war –, dieses Genre neu zu begreifen und weg vom »verstaubten« Kulturführer zu bringen. Mir war auch klar, dass wir zum Start sicherlich idealerweise Kulturen benötigen, die ganz offensichtlich – aus unserer Sicht – sehr eigenartig sind. Da war der Weg nach Japan nicht weit … (lacht)

Was mir allerdings fehlte, waren Autoren, Verlagserfahrung und überhaupt im Grunde alles, was einen Verlag ausmacht. Ich war aber durchaus willens und habe mich einfach auf die Suche nach Leuten gemacht, die sich mit Japan auseinandersetzen, die jünger sind und überlegt, was wir für ein Konzept umsetzen können. Ich bin damals dann auf www.japanlink.de gestoßen, ein kleines Webportal, das sich mit japanischer Alltagskultur auseinandersetzte. Betrieben wurde das Ganze von Kerstin und Andreas Fels, einem jungen Kölner Ehepaar, mit denen gemeinsam ich den Titel »Die Axt im Chrysanthemenwald – 50 Wege, sich in Japan zu blamieren« ins Leben gerufen habe. Nachdem der Titel für unsere Verhältnisse sehr erfolgreich gestartet war, kam mir in den Sinn, dass man die Konzeptidee ja eigentlich auch auf andere Länder und Kulturen übertragen kann. Denn blamieren kann man sich ja problemlos überall auf der Welt ...

Der Entschluss war dann schnell gefasst, dass wir im Frühjahr 2010 eine neue Buchreihe auf Basis dieses Konzeptes starten wollen. Mit sechs Titeln gleichzeitig. Und unter dem Namen »Fettnäpfchenführer«. Damit war die Reihe geboren. Die Bedenken aus verschiedenen Richtungen, dass man den Namen nicht verstehen würde und dass so eine Reihe nicht erfolgreich sein könnte, habe ich glücklicherweise geflissentlich ignoriert.

SG: Du warst bei der Verlagsgründung noch sehr jung und arbeitest auch immer wieder mit jüngeren Autorinnen und Autoren zusammen – ich zum Beispiel  war zum Zeitpunkt der Bewerbung 24. Spricht das für eine gewisse Waghalsigkeit in deinem Naturell?

MW: Nun ja, ich bin verheiratet, habe zwei Kinder, einen Hund und ein Haus. (lacht) ... Was heißt waghalsig? Wer mit 27/28 Jahren seinen Job hinschmeißt und einen Verlag gründet, ohne wirklich zu wissen, was ein Verlag ist und wie das Ganze funktionieren könnte, der hat mit Sicherheit eine gewisse Form von Willen, gewisse Dinge zu tun, auch trotz eines Risikos. Das mag man als Mut sehen, ich würde es aber nicht als Waghalsigkeit bezeichnen.

Ich habe es gerade in der Gründungsphase selbst sehr oft erlebt, dass Menschen einem nicht zutrauen, etwas zu tun, ohne dass man es schon 30 Jahre lang gemacht hat. Für diese Menschen rückt die Idee viel zu stark in den Hintergrund. Und bei dieser Sicht gehe ich eben nicht mit. Ich glaube, dass Motivation, Engagement und eine gute Idee wichtiger sind. Und da bin ich oft selbst überrascht – sicherlich bei dir auch –, was Autorinnen und Autoren schon in jungen Jahren leisten können. Das ist auch eine Form von Gabe oder Talent.

SG: Für dieses Vertrauen kann ich mich nur bedanken. An deiner ersten Reaktion spiegelt sich aber auch wider, dass dieser Anker aus Familie, Haus und Hund ja vielleicht auch wichtig ist, um im Geschäftlichen eben mutig und abenteuerlustig zu sein.

MW: Auf jeden Fall. Die meisten Menschen tragen das Bild in sich, dass dieses von mir beschriebene, vermeintlich spießige Szenario einhergeht mit der Beschränkung des eigenen Horizonts bis zum Gartenzaun. Das ist aber natürlich Blödsinn. Ja, das ist ein wichtiger Anker, Familie generell. Mein ganzes Umfeld besteht aus Selbständigen, wir sind absolute Familienmenschen, auch im Beruflichen. Meine Eltern arbeiten hier mit im Team, Ende sechzig und Anfang siebzig ... Das ist für viele ungewöhnlich, für mich ist es aber Teil eben dieses Ankers.

SG: Metaphorisch gesehen, ist das auch ein schönes Bild. Du hast deinen Anker zu Hause, damit du mit CONBOOK und den Autoren lossegeln kannst.

MW: Ich sage zu Autoren gerne: Reist ihr mal um die Welt, wir machen das Back-Office für euch. Das ist natürlich überspitzt, aber am Ende des Tages ist die Verlagsarbeit hart und irgendwer muss eben hier sitzen, nine-to-five, die Arbeit machen und die PS auf die Straße bekommen. Das ist also schon eine recht klassische Lebensstruktur, das muss aber nicht bedeuten, dass man weniger mutig ist oder eine beschränktere Sicht auf die Welt hat. Vielleicht sogar im Gegenteil. Die permanente Befruchtung von so vielen Menschen, die so viel erlebt und so komische Sachen gemacht haben, erweitert den eigenen Horizont schon sehr stark. Wenn man ihnen zuhört.

SG: Zurück zu den Fettnäpfchenführern! Wie du vorhin erzählt hast, habt ihr 2010 angefangen, mittlerweile gibt es, wenn ich richtig gezählt habe, 40 Ausgaben. Hast du am Anfang geglaubt, dass die Reihe so einschlagen wird?

MW: Ehrlich gesagt: Ich habe damals gehofft, dass wir nicht in dem Moment das Schicksal des Verlages besiegelt haben, wenn die Bücher erscheinen. (lacht)

Jeder aus der Branche wird das Risiko einschätzen können. Wir hatten ein sehr kleines Programm mit einigen wenigen Titeln und haben dann sechs Titel auf einmal mit großer PoS-Promotion etc. lanciert. Da stand schon eine ordentliche Investition dahinter. Wenn das schiefgegangen wäre, hätten wir den Verlag vermutlich schließen müssen.

Zum Start war ich dann erleichtert, dass die Reihe überhaupt erst einmal verstanden und angenommen wurde. Richtig gefreut hat mich dann das Engagement vieler Buchhandlungen, die die Reihe richtig schön präsentiert haben – und damit sicherlich den Grundstein für alles Weitere gelegt haben. Es war auch das erste Mal, dass ich gemerkt habe, dass der Buchhandel uns wahrnimmt und Spaß an unserer Programmidee hat.

Und nein, ich habe nicht von Anfang an geglaubt, dass es über Jahre ein Erfolg wird. Mein Ansatz war eher: »Die Idee ist toll, lasst es uns einfach versuchen.«

SG: Und das hat ja offensichtlich funktioniert. Warum, glaubst du, hat das Konzept so gut funktioniert?

MW: Am Anfang hat sicherlich reingespielt, dass es verhältnismäßig innovativ war. Ich bin nicht so vermessen zu sagen, dass es ein unglaublich neues Ding war, aber es war eben schon ein eigenes Konzept, das es so noch nicht gegeben hat. Es hat zwar durchaus polarisiert – manche konnten damit weniger anfangen, andere dafür umso mehr –, aber es war eben klar, abgegrenzt zu anderen und hatte eine eigene Identität. Das hat sicherlich den Erfolg beflügelt.

Das Konzept haben wir über die Jahre zwar sanft optimiert und verbessert, aber das Grundprinzip stand von Anfang an fest und ist bis heute unverändert. Hinzu kommt, dass die Bücher auch einfach Spaß machen. Es ist Unterhaltungsliteratur im besten Sinne mit großem Lerneffekt. Und damit begeistert man die Menschen auch nach zehn Jahren noch.

SG: Was unterscheidet den Fettnäpfchenführer von einem ganz herkömmlichen Reiseführer?

MW: Wir schreiben recht wenig über Kirchen ... (lacht)

SG: Damit wäre ich auch völlig überfordert gewesen ...

MW: Es ist schlicht keine »Point of Interest«-Sammlung, das ist klar. Wir sind einfach kein Reiseführer, sondern Länderliteratur, unterhaltsamer Kulturführer. Und wir unterscheiden uns eben dadurch, dass wir ein einzigartiges Konzept haben. Protagonisten mit deutschem/österreichischem/Schweizer Kulturhintergrund in ein fremdes Land zu schicken und dort die Fallstricke fremder Kulturen am eigenen Leib erleben zu lassen – das macht niemand anderes so konsequent, unterhaltsam und liebevoll. Kein Reiseführer und auch kein Kulturführer.

SG: Ich glaube, wenn man sich den typisch deutschen Urlauber mit Socken in den Sandalen vorstellt, dann wird auch schnell klar, dass überall Fettnäpfchen lauern können.

MW: Mit dem Unterschied, dass wir dieses Klischee tatsächlich nicht bedienen wollen. Das war auch etwas, was wir sehr schnell justiert und fixiert haben. Am Anfang sind einige Ausgaben noch etwas stärker in die »Klamaukecke« abgerutscht, mittlerweile ist es elementar wichtig, dass wir nachvollziehbare, ernstzunehmende Protagonisten mit hohem Identifikationspotenzial einsetzen. Keine übertriebenen Handlungen, keine weißen Socken in den Sandalen. (Auch wenn dieses Klischee im Grunde gar keines ist, das sieht man ja tatsächlich an jeder Ecke.) Wir möchten, dass die Leserschaft denkt: »Ja, das könnte mir auch passieren.«

SG: Der Fettnäpfchenführer lebt ja von dem dreigliedrigen Aufbau: dem fiktionalen Teil mit der Geschichte, die die Protagonisten erleben, den Infokästen und dem Ratgeberteil, der auflöst, worin das Fettnäpfchen bestand. Warum ist dieser Aufbau so wichtig?

MW: Im Grunde hatte ich von Anfang an mehrere Ansprüche an das Konzept: Es soll unterhaltend sein, was wir durch den fiktionalen Teil gewährleisten, in dem wir die Protagonisten in verschiedene fettnäpfchentaugliche Situationen schicken. Wir wollten immer Wissen über die Menschen und deren Leben vermitteln, was wir hauptsächlich über den auflösenden Ratgeberteil machen. Darüber hinaus war mir persönlich sehr wichtig, den Menschen auch darüber hinausgehendes Wissen zu vermitteln. Das ist im Grunde die große Klammer des gesamten CONBOOK-Programms. Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, Barrieren abzubauen, Kulturen zusammenzubringen und Toleranz zu schüren. Und ich glaube, das erreicht man auch durch die Vermittlung von Wissen. Deswegen sind bei den Fettnäpfchenführern Wissenskästen Teil des Konzeptes. Allerdings haben wir uns auch hier vorgenommen, es zugänglich zu gestalten. Die Leserinnen und Leser sollen nicht das Gefühl haben, sich durch Wissenswüsten quälen zu müssen. Es ist eher Small-Talk-Wissen, das dann eben vielleicht auch auf der nächsten Party unauffällig angebracht werden kann. Es soll Wissen sein, das so spannend (und unterhaltsam) ist, dass es hängen bleibt. Da sind Zahlenkolonnen kontraproduktiv.

SG: Weg vom Konzept, hin zur Praxis: Wenn du selbst verreist, hast du dann immer auch den entsprechenden Fettnäpfchenführer parat?

MW: Es erschreckt immer wieder Leute, wie wenig ein Reiseverleger tatsächlich verreist ... Was aber weniger daran liegt, dass ich nicht gerne verreise. Es ist einfach der Arbeitssituation geschuldet, so ehrlich muss ich sein. Und sicherlich in den letzten Jahren auch den persönlichen Umständen, die die Möglichkeiten noch etwas stärker eingeschränkt haben. Aber von den Ländern, die ich bereist habe und von denen es zu diesem Zeitpunkt einen Fettnäpfchenführer gab, habe ich die Ausgabe selbstredend nochmal genauer studiert. Wobei ich die meisten Ausgaben durch die tägliche Arbeit eh schon kenne. Das ist ja auch ein toller Faktor meines Jobs: Ich lerne sehr viel über fremde Länder und Kulturen, ohne vor Ort zu sein.

SG: Das ist eine schöne Vorstellung. Eine Reise im Kopf. Und die Reise im Kopf ist leider aktueller denn je, das Reisen in gewohnter Form ist durch die Corona-Krise zumindest stark eingeschränkt. Da passt es ja eigentlich ganz gut, dass ihr die Fettnäpfchenführer um verschiedene deutschsprachige Regionen erweitert. Glaubst du denn, es gibt auf regionaler Ebene genug Fettnäpfchen, in die man treten kann?

MW: Ja, das glaube ich schon. Deutschland, Österreich und die Schweiz sind ein toller Nährboden. Wir bestehen aus einem Flickenteppich verschiedener Regionen, die immer auch eine mehr oder weniger starke eigene Identität haben. Und das hat oft verschiedene Traditionen, Sicht- und Verhaltensweisen hervorgebracht, über die man ganz wunderbar Bücher schreiben kann. Wir sehen es an deinem Fettnäpfchenführer Ostfriesland, der ganz wunderbar funktioniert. Ähnlich ist es mit der Ausgabe für Bayern. Und in Zukunft werden es sicherlich noch mehr werden.

Natürlich sind die Unterschiede nicht immer so offensichtlich und extrem, wie es zum Beispiel zwischen Deutschland und Japan der Fall ist. Auch haben wir nicht so große Sprachbarrieren, was ansonsten immer schönes Fettnäpfchenpotenzial birgt. Es sind die leiseren Töne, ganz klar, und es ist für die Autorinnen und Autoren vielleicht auch etwas schwieriger, die Details herausarbeiten und in eine glaubhafte und unterhaltsame Geschichte einzubinden. Aber dass verschiedene Regionen genug liebenswerte Schrulligkeiten haben, steht für mich außer Frage.

SG: Zum Schluss dann die große Preisfrage: Hast du denn den selbst einen Hang dazu, in Fettnäpfchen zu treten?

MW: Vermutlich solltest du das die anderen Menschen fragen, vielleicht waren bisher alle so höflich, mich in dem Glauben zu lassen, dass ich nicht allzu viel falsch mache. (lacht)

SG: Okay, dann anders gefragt: Welches war das größte Fettnäpfchen, in das du auf Reisen getreten bist?

MW: Da muss ich tatsächlich ein wenig überlegen – zumindest ist es mir nicht aufgefallen, dass ich jüngst in größere Fettnäpfchen getreten wäre. Aber vielleicht gibt meine Begegnung auf einem kanadischen Campground ganz gut wieder, wie auch bei vermeintlich nahen Kulturen Fettnäpfe aussehen können.

Ich war mit meiner Frau – wie es sich für Kanada gehört – in einem RV im Westen des Landes unterwegs und steuerte für die Übernachtung einen sehr weitläufigen, naturnahen Campground an. Wir waren in der Vorsaison unterwegs, entsprechend wenige Besucher gab es auf dem Platz. In meiner Erinnerung waren wir sogar die einzigen, das mag mein Gehirn aber aus dramaturgischen Gründen »optimiert« haben. In jedem Fall habe ich mich nach der Ankunft auf den Weg zur »Dame vor Ort« gemacht, um mich dort nach Feuerholz zu erkundigen. Natürlich funktioniert das Fragen nach Feuerholz nicht nach deutschen Maßstäben, sondern bedingt – gerade in der Vorsaison – einen längeren Plausch über alles Mögliche. Eine tolle Eigenheit der Nordamerikaner, wie ich finde. Als ich nach einigen Minuten auf die Bärenwarnung verwies, die wir am Highway gesehen hatten, wollte ich damit eigentlich nur mein Gefühl beruhigen, weil ich davon ausging, dass diese Schilder prophylaktisch aufgestellt worden waren. Ihre Antwort war etwas in der Richtung: »Mach dir keine Sorgen, ich habe den Bären heute Morgen das letzte Mal hier auf dem Platz gesehen.« Die Tatsache, dass ich daraufhin große Augen bekam und recht unvermittelt meinen Rückweg in die vermeintlich sicheren vier Autowände angetreten habe, hat diese Frau an diesem Tag vermutlich ratlos zurückgelassen. Kein großer Fauxpas, zeigt aber an vielen Stellen die Unterschiede im Leben und der Mentalität der Kanadier.

 

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Sylvie Gühmanns Fettnäpfchenführer Ostfriesland und alle weiteren Ausgaben der Reihe finden Sie hier.


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