Eine Studenten-Crew auf Weltreise
200 Studenten, 40 Nationen und ein Schiff – Christopher David war Teil einer Studenten-Crew, die auf dem Scholar Ship ein Semester lang von Athen bis Shanghai reiste. Inspiriert von seinen Erfahrungen an Bord zwischen ausschweifenden Partys, spannenden Begegnungen und Forschungsexpeditionen, ist sein Debüt »Die Wellenbrecher« entstanden. Hier gibt es die ersten Seiten zum Reinlesen.
PIRÄUS
Wer bin ich?
Im Halbdunkel besah ich meine Schemen im Hotelspiegel. Von draußen strömten die Geräusche und Lichter Athens durch die weit offenen Fenster. Auf meiner Haut ein Schweißfilm. Ich fletschte die Zähne. Sie leuchteten im Spiegel. Vor lauter Schatten konnte ich kaum meine Augen ausmachen. Ich fuhr mir mit den Fingern über die Konturen meines schmalen Gesichts. Eine widerspenstige Strähne hing mir in die Stirn. Ich strich sie zurück. Wer bin ich? Ich achtete auf das Surren des Deckenventilators. Er tat vergeblich seinen Dienst gegen die stehende Sommernachtsluft. Das Leinenlaken lag zusammengeknüllt auf dem Bett. Es musste mindestens zwei Uhr früh sein. In ein paar Stunden würde ich meine Sachen zurück in den Koffer packen und aufbrechen.

Ich ging zum Fenster und versuchte, Piräus, den Hafen von Athen, auszumachen. Irgendwo da, inmitten der fernen Flutlichter, lag das Schiff. Ein Schatten flatterte durch das Zimmer. Es konnte nicht lange dauern, bis ich auffliegen musste. Mein nackter Oberkörper schimmerte feucht im Spiegel. Licht und Schatten zeichneten die Bauchmuskeln heraus und ließen meine Arme definierter erscheinen, als sie waren.
Rund dreißig Grad – und das mitten in der Nacht. Meine Zunge lag trocken im Kiefer. Ich nahm den Zahnputzbecher, spülte ihn aus und ließ das Wasser weiterlaufen, in der Hoffnung, es werde kühler. Ob man in Griechenland Wasser aus dem Hahn trinken konnte?
Ich hätte mir einfach eine Flasche mit aufs Zimmer nehmen sollen. Wenn ich mir jetzt Legionellen einfing, wäre die Reise beendet, bevor sie überhaupt richtig begann. Für einen Moment schien mir das ein ganz annehmbares Szenario zu sein. Ich könnte es drauf ankommen lassen. Poseidon sollte über das Leitungswasser mein Schicksal lenken.
Ich füllte den Becher zur Hälfte und neigte ihn so, dass Licht einfiel. Waren da Krümel im Wasser? Vielleicht nur Kalk. Ich stellte den Schierlingsbecher auf den Nachttisch und legte mich rücklings aufs Bett. Es war ein Riesenfehler, in meinem Essay so zu übertreiben.
Die Schatten der Ventilatorblätter drehten sich so unaufhörlich wie mein Gedankenkarussell. Irgendetwas war doch faul an der Sache. Wenn sie weltweit Studenten aufnahmen, mussten gehörige Koryphäen dabei sein. Ich dagegen war ein überambitionierter Durchlavierer bei dem Versuch, mehr aus sich zu machen, als seine Kapazitäten hergaben.
Schließlich kreiselte mich der Ventilator in einen hauchdünnen Schlaf.
ARCHE NOAH
Das Taxi fuhr auf das Hafengelände ein. Ein Areal so groß wie eine deutsche Kleinstadt bestehend aus Maersk-Containern, Lastenkränen und geschäftigen Arbeitern in gelben Sicherheitswesten. Am Ziel-Dock angekommen, sah ich zum ersten Mal das Schiff leibhaftig vor mir. Ich kurbelte das Seitenfenster runter und atmete die frühmorgendliche Seeluft ein. Der Kahn verströmte den Charme eines alternden Jetsetters. Den gigantischen Containerfrachtern und Kreuzfahrtriesen ging unser Ozeanliner gerade einmal bis zur Brust.
Eine einzige blitzblaue Linie führte den schnittigen, weißen Korpus entlang. Der Schriftzug »The Student Ship« wurde gerade erst auf den Bug gepinselt. Dieser Blick auf die Maler, die auf Holzbrettern sitzend von der Reling hingen und in Seelenruhe ihrer Arbeit nachgingen, während griechische Folklore aus einem Kofferradio klimperte, entspannte mich ein wenig. Ich konnte es schaffen. Die kochten doch auch nur mit Wasser.
In Grüppchen verteilt standen dutzende Studenten in der offenen Hafenhalle. Die meisten schienen kaum mehr als einen Trekkingrucksack dabei zu haben. Derweil türmte der Taxifahrer nach und nach mein Gepäck neben dem Wagen auf. Ein Überseekoffer, zwei Trolleys, ein Trekkingrucksack, eine Bauchtasche. Warum hatte ich mir bloß so viel Zeug aufschwatzen lassen? Ein geschniegelter Typ, der stolz aus einer Traube Mädchen herausragte, lachte bei meinem Anblick laut auf.
Ich raffte meine Sachen umständlich zusammen und schleppte den ganzen Ballast zum Check-in. An einer Reihe von Tischen standen bullige Hafenarbeiter in Blaumann und Arbeitsstiefeln neben zierlichen Damen in Marinemontur bereit, um Gepäck und Personalien aufzunehmen. Ich versah jedes einzelne Stück mit Namen und Kabinennummer und überließ es den Packtrupps. Hoffentlich schmeißen sie gleich alles ins Wasser. Oder sie bringen es zur falschen Kabine. Da würde aber einer staunen.
Ich reichte der Administrationsdame meine ausgefüllten Papiere.
Datum: 5. September 2007
Name: Mark Herfurt
Geburtsdatum: 12.6.1984
Staatsbürgerschaft: deutsch
PLZ, Wohnort, Land: 50939 Köln, Deutschland
Studiengang: International Business
Level: Postgraduate
Familienstand: ledig
Gefahrengüter: nein
Bargeld von umgerechnet mehr als 10.000 USD dabei: nein
Und so weiter und so fort.
Sie bewegte lautlos die Lippen, während sie alle Informationen sorgfältig prüfte. Zufrieden mit den Angaben senkte sie die Papiere und schenkte mir ein Lächeln. Auf ihrem linken Schneidezahn prangte ein roter Fleck ihres Lippenstifts.
»Sehr gut. Sie müssen sich noch etwas gedulden, Sir. Wir sind in etwa einer Stunde bereit zum Boarding.« Mit einer Geste bedeutete sie mir, mich zu den anderen Wartenden zu gesellen.
Ich schob die Hände in die Hosentaschen meiner Jeans und sah mich um. Die Luft war geladen mit Erwartungen. Ein Projekt wie dieses hatte es noch nie gegeben.
Eine Gruppe Chinesen gluckte eng beieinander und sah immer wieder bang über die Schulter zu den westlichen Mitreisenden. Von denen plusterten sich einige auf und posaunten ihre Begeisterung lauter als nötig heraus. Andere dagegen drückten sich schüchtern in den Schatten.
Eine dunkelhaarige Schönheit schwebte in einigen Metern Entfernung vorbei. Ich starrte etwas zu lang zu ihr rüber, während ihr Parfum in meiner Nase spielte. Sie blitzte mich aus schwarzen Augen an. Gab es so etwas? Schwarze Augen? Vermutlich war ich noch nicht ganz wach. Nach der aufgewühlten Nacht fühlte ich mich nun am großen Tag der Abfahrt wie gerädert.