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Fettnäpfchenführer-Autorin Ulrike Köhler über ihre Sehnsucht nach Schottland

Sobald unsere Autorin Ulrike Köhler in Schottland ist, hat sie ein Problem: Sie will eigentlich gar nicht mehr weg. Für unsere CONBOOK Stories hat sie aufgeschrieben, wie sie 2012 mit einem 20 Jahre alten Opel 2.000 Kilometer durch die Highlands fuhr und dabei mehr als genug Stoff für ihren Fettnäpfchenführer Schottland sammelte.

Dass ich wirklich mit dem Auto nach Schottland fahren würde, habe ich wahrscheinlich erst in dem Moment realisiert, in dem mein Handy klingelte und zwei Mädels fröhlich verkündeten: »Wir fahren mit!« Das war zu Hochzeiten der Mitfahrgelegenheit eigentlich nichts Besonderes und so fragte ich sie, welche Etappe meiner langen Reise sie mit mir fahren wollten.

»Den ganzen Weg«, sagte die aufgeregte Stimme am anderen Ende. Aus einer Schnapsidee wurde also plötzlich ernst. Kurz darauf lernte ich Reenie und Elli kennen – und fuhr mit ihnen in meinem 20 Jahre alten Opel Astra »Bob« nach Schottland.

Mir wurde fast schlecht vor Aufregung, als ich Inverness als Ziel in mein Navigationsgerät namens Sandra eingab. Übrigens kein gewöhnliches Navi: Wie sich zeigen sollte, machte die feine Dame nämlich immer nur mit, wenn ihr danach war – also im Grunde nie dann, wenn ich sie tatsächlich brauchte. Und so wurde sie im Laufe der Zeit eher so etwas wie eine liebe, aber sehr kauzige Reisebegleitung, die für Unterhaltung sorgte.

Endlich gekommen, um zu bleiben

Wir waren eine Woche unterwegs, bis wir – Sandra zum Trotz – schließlich unser Ziel erreichten: Inverness, das Tor zu den Highlands. Dort quartierten wir uns zunächst in einem Hostel ein; Reenie und Elli, um sich auf ihre Rundreise durch die Highlands vorzubereiten, und ich für die Wohnungssuche. Denn ich war gekommen, um zu bleiben. Endlich! Wie oft hatte ich mir gewünscht, Schottland nicht wieder verlassen zu müssen? Wie oft hat mich der Abschied am Ende eines Urlaubs hier geschmerzt? Diesmal wollte ich die volle Dröhnung, Schottland satt! Vielleicht dachte ich, dass ich eines Tages genug davon hätte, doch ich kann schon spoilern: Das ist nie passiert und wird es wohl auch nie.

Vier lange Monate in Schottland lagen vor mir. Es war April, der Ginster begann gerade, den Schnee von den Hängen der Highlands zu vertreiben, die weißen Schafe sprenkelten frisches, saftiges Gras. Das Land erwachte gerade erst aus dem Winterschlaf und vor mir lag die pure Verheißung. Mein Plan: Wann immer das Wetter es erlaubte, von Inverness in die Highlands fahren, die Westküste ausgiebig und ohne Zeitdruck erkunden, der Nordküste folgen und vielleicht sogar ein wenig Inselhopping betreiben.

Einmal Abenteuer im Abo, bitte!

Ein Zimmer zur Untermiete war schnell gefunden. Es lag in einem alten Stadthaus direkt am River Ness, das ich mir mit einer Sicherheitsbeamtin vom Flughafen und einem Hubschrauberpiloten teilte. Vor unserer Haustür führte eine schwankende Hängebrücke über den Fluss in die Innenstadt von Inverness, etwas rechts davon thronte das Castle. Es dauerte nicht lange, da liebte ich jeden Millimeter dieser Gegend.

Inverness ist nicht im klassischen Sinne idyllisch, aber es hat so viel Charme! Ich liebte das Hootananny, den urigen Live-Musik-Pub im Zentrum, der immer wieder zum beliebtesten Pub Schottlands gewählt worden war, und den Blick auf die Gipfel der Cairngorms von der Brücke aus. Ich liebte das Ansteigen und Absinken des Flusses mit den Gezeiten, weil ich wusste, dass es in seiner Mündung Delfine gab. Ich liebte die Nähe zum Loch Ness, auch wenn der See in Wahrheit so unspektakulär ist, dass ich nicht halb so oft da war, wie ich mir vorgenommen hatte.

Und ich liebte die Straße aus der Stadt hinaus gen Westen. Ich weiß nicht, wie oft ich sie gefahren bin, nicht sicher, ob das aufgeregte Pulsieren aus meinem Inneren oder aus Bobs altem Motor kam. Die Orte, die Sandra und mich auf jedem Weg in die Highlands begrüßten, wurden schnell zu lieben Vertrauten und die A835 unser zweites Zuhause. Jede Fahrt ein kleines Abenteuer: die Überquerung des halsbrecherischen Applecross Passes, das Vortasten auf den winzigen, einspurigen Straßen nördlich von Ullapool, der erste Besuch im Tal von Torridon, die Überquerung der schwankenden Hängebrücke in 60 Metern Höhe über dem schroffen Corrieshalloch Gorge, die Tage ohne Nächte, die ich während des Mittsommers an der Nordküste verbrachte, und das nächtliche Schwimmen mit Delfinen an der Ostküste …

Sushi, Trommeln und der Dalai Lama

Schon bald konnte Bob, Sandra und mich nichts mehr erschüttern. Wir nahmen jeden Berg und jedes Wetter mit und rollten dann abends erschöpft, aber glücklich wieder in Inverness ein, wo ich unter Möwengeschrei zu meinem Zimmer hochstieg und mich für den Abend fertig machte. Es gab fast keinen Abend, an dem sich die vielen Internationals der Couchsurfing Community von Inverness nicht trafen. Da gab es einen schottischen Rechtsanwalt, der Profi in sämtlichen Outdoor-Sportarten ist und fließend Deutsch spricht, eine Lehrerin aus den Niederlanden, eine junge Verwaltungsbeamtin aus Polen, einen Piloten aus England, der die Post zu den Inseln der Äußeren Hebriden und zurück flog, eine schottische Kunsthändlerin und ihren norwegischen Mann, einen brasilianischen Ingenieur und seine israelische Freundin.

Innerhalb kürzester Zeit waren wir eine eingeschworene Gemeinschaft, trafen uns im Pub, tanzten zu Live-Musik, kauften am ersten warmen Frühlingstag gemeinsam einen Grill, kochten zusammen, machten Sushi, schauten, alle vor einen kleinen Fernseher gedrängt, den Eurovision Songcontest und spielten südlich von Inverness in einer Samba-Gruppe Trommeln, als wäre daran – in einem winzigen schottischen Dorf – wirklich nichts Ungewöhnliches zu finden.

Wir hörten den Dalai Lama live in Inverness sprechen und begrüßten am Straßenrand jubelnd die Olympische Flagge auf ihrem Weg durch die Highlands. All das lieferte mir natürlich mehr als genug Stoff für die Geschichte von Franziska, die ich im Fettnäpfchenführer Schottland erzähle. Einiges habe ich so oder ähnlich tatsächlich erlebt oder es ist mir erzählt worden. Anderes könnte sich so oder anders jeden Tag in Schottland abspielen.

Es war wirklich eine großartige Zeit, eine unvergessliche Zeit, an die ich immer noch so gerne zurückdenke! Ich bin so froh, dass ich damals in mein kleines Auto gestiegen und die knapp 2.000 Kilometer gefahren bin. Auch wenn Sandra wahrscheinlich bis heute keine Ahnung hat, wie wir da eigentlich hin gekommen sind.


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Die Autorin

Ulrike Köhler

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