Gekritzel im Sand gegen die große Einsamkeit
In »Gekritzel im Sand gegen die große Einsamkeit« schrieb Franziska Bär nicht nur zum ersten Mal über ihre 400 km lange Wanderung durch die Mongolei, sondern legte damit auch den Grundstein für ihr Buch »Ins Nirgendwo, bitte!«, das im April 2019 bei CONBOOK erscheint. Mit dieser Kurzgeschichte gewann sie den Autorenwettbewerb des Reiseblogs »The Travel Episodes«.
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Mit einem Rucksack auf den Schultern, der vollbepackt halb so groß ist wie ich selbst, wütend, verzweifelt und mit Tränen in den Augen stecke ich bis zur Hüfte in einem tosenden Fluss fest. Ich stecke fest, weil die Strömung hier an der tiefsten Stelle plötzlich so stark ist, dass ich mich keinen Schritt weiter traue. Hebe ich jetzt nur einen Fuß weg vom glitschigen Steinboden, reißen mich die Wassermassen mit und mein viel zu großer Rucksack verwandelt sich plötzlich in einen Anker, der mich runter auf den glitschigen Boden zerrt und nie wieder nach oben lässt. Da bin ich mir sicher. Das Wasser strömt allerdings nicht nur mit erschreckender Wucht zwischen meinen Beinen durch, sondern auch in einer Eiseskälte. Natürlich, es ist Gletscherwasser. Die schneebedeckten Gipfel der viertausend Meter hohen Berge sehe ich in diesem Moment sogar. Dass mich kein ruhiger Tümpel in Badewasser-Temperatur erwartet, hätte ich mir denken können. Einen anderen, trockenen Weg hätte ich trotzdem nicht wählen können. Wege gibt es hier nicht. Ich bin froh, wenn ich nicht wieder von Hügelchen zu Hügelchen, von einem Quadratmeter festem Untergrund zum nächsten, springen muss, um einen Sumpf zu durchqueren. Dabei muss ich aussehen, wie die Figur aus einem alten Computerspiel, die auf Befehl der Pfeiltasten auf und ab hüpft, um nicht zu versinken. Nicht untergehen, nicht versumpfen, immer weiter laufen – dieses Credo begleitet mich wochenlang.
Freiheit, Schwerelosigkeit und Angst
Jetzt aber erwischt es mich schlimmer. Ich stecke in einem Gletscherfluss fest, irgend- wo in einem kleinen Tal im Westen der Mongolei. Will nicht vorwärts, nicht rückwärts. Will mich eigentlich nur an einen warmen Platz setzen und essen, oder immerhin raus aus dem Fluss. Selbst das erscheint mir in diesem Moment unmöglich. Wieder fühle ich das Gewicht meines Rucksacks auf den Schultern und habe den Anker vor Augen, der er gleich sein wird. Bis mich etwas aus den Gedanken reißt. Mein Weg- und Reisegefährte, mein Partner in allen Zeiten, der nicht nur in der Mongolei von Tag zu Tag mehr zu meinem Held wird, steht am anderen Ufer und schreit mich an. Er brüllt so laut er kann, wirkt dabei Welten entfernt. Seine Stimme mischt sich mit dem Krach des tosenden Wassers, das meine Beine umspült. »Geh!… sofort!… weiter! Geh!… sofort!… weiter!« Er merkt, dass die Situation für mich längst beängstigende Ausmaße angenommen hat. Die Erlebnisse der vergangenen Wochen brodeln in mir, Stärke und Kraft hat der Fluss in dieser Sekunde weggespült. Die entfernte Stimme schreit weiter, ich stehe gedankenverloren da, wie weggetreten und unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Geschweige denn, einen festen Schritt nach vorne zu wagen.