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How to Kill Yourself Abroad: Der Selbstversuch

Hat Markus Lesweng alle Orte in »How to Kill Yourself Abroad« selbst besucht? Die Antwort auf die Frage, die uns immer wieder gestellt wird: Nein, denn in vielen Fällen hätte unser Autor die Trips wahrscheinlich gar nicht überlebt. Doch für uns wagt er sich an den äußersten Zipfel Javas, zum größten Säuresee der Erde im Krater des Vulkans Kawah Ijen.

 

Jeder kennt Bali. Bali ist das Urlaubsparadies Indonesiens, mit endlosen Sandstränden und dichten knallgrünen Wäldern. Es ist immer warm, das Wetter meist gut und selbst wenn nicht, ist der Regen zumindest auch nicht gerade kühl.

Doch Bali ist kein Geheimtipp – obwohl Indonesien aus Tausenden Inseln besteht und sich über mehr als 4.000 Kilometer erstreckt, ist die kleine Insel der Touristenmagnet schlechthin. Teile von ihr gelten gar als der »Ballermann für Australier«. Umso erstaunlicher ist es, dass nur wenige Kilometer östlich eine völlig andere Welt wartet, geradezu unentdeckt.

Am äußersten Zipfel Javas, der wichtigsten Insel Indonesiens, liegt die Stadt Banjuwangi. Einer dieser Orte, die – im krassen Gegensatz zu Bali – niemand in Europa zu kennen scheint, und das, obwohl er mehr Einwohner zählt als München. Hier sticht man – wie in vielen Teilen Javas – mit einer blassen Nase aus der Masse heraus, doch die Einheimischen scheinen über den Besuch von außerhalb aufrichtig erfreut. Man wird auf der Straße gegrüßt, bekommt von Wildfremden High-Fives oder wird um gemeinsame Fotos gebeten.

Und das, obwohl Banjuwangi Ausgangspunkt für eine der spektakulärsten Exkursionen ist, die man in diesen Breitengraden unternehmen kann. Nur zwanzig Kilometer Luftlinie vom hektischen Stadtzentrum liegt der größte Säuresee der Erde, im Krater des Vulkans Kawah Ijen.

Wer diesen unwirklichen wie lebensfeindlichen Ort besuchen will, kann gegen überschaubares Entgelt eine Tour buchen, bei der einheimische Führer einen bis zum Gipfel begleiten. Zur wahrlich unchristlichen Uhrzeit von zwei Uhr nachts bricht man auf, um pünktlich um vier Uhr morgens am Eingangstor zum Trek anzukommen.

Hier erwartet uns die erste Enttäuschung: Vier Uhr ist zu spät, um rechtzeitig am Kraterrand zu sein, um noch etwas von dem »Blue Fire« zu sehen. Jede Nacht entzündet sich der frische Schwefel aus dem Erdinneren und verbrennt in wunderschönen wie hochgefährlichen, eben blauen Flammen, die nur in der Dunkelheit sichtbar sind.

»Wenige Wochen vor unserem Besuch zeigte der Vulkan überraschende Aktivität, stieß große Mengen an Giftgas aus und brachte damit Dutzende Leute ins Krankenhaus.«

Doch wenige Wochen vor unserem Besuch zeigte der Vulkan überraschende Aktivität, stieß große Mengen an Giftgas aus und brachte damit Dutzende Leute ins Krankenhaus.

Aus diesem Grund startet der Trek mit vielleicht hundert Wanderern erst um vier Uhr morgens. Als wir losgehen, brauchen wir eine Taschenlampe, um in der Finsternis nicht zu stolpern. Doch rund anderthalb Stunden später, auf dem Gipfelgrat, sind die Millionen von Sternen verschwunden und machen der Sonne Platz, die einen weiteren heißen, diesigen Tag verspricht.

Apropos heiß: Der nächtliche Aufstieg führt auf weit über 2.000 Meter hinaus. Während Europäer ihn lächelnd im T-Shirt absolvieren, tragen die Einheimischen gerne Jacken, teilweise sogar Handschuhe: »It's very cold, Sir.«

Zur Belohnung wartet ein Ausblick am Kraterrand, der mal im übertragenen, mal im wortwörtlichen Sinne atemberaubend ist. Ein See aus purer Säure, mit einem ph-Wert knapp über null, in knalligem Türkis. Dazu am Rande die gelben Schwefelquellen und im Hintergrund die indonesische Bergwelt. Es ist ein faszinierender Anblick, doch zugleich gibt einem der siebte Sinn zu verstehen, man möge doch baldigst umkehren.

Zum Glück steht der Wind günstig. Dennoch bietet man mir eine Gasmaske an, um den widerlichen Gestank aus dem Erdinnern besser ertragen zu können. Besagte Gasmaske entpuppt sich jedoch bloß als Mundschutz, genauso, wie man ihn vom Zahnarzt erkennt.

»Health and Safety« hat sich vor Ort noch nicht durchgesetzt, wie auch ein Blick auf die Minenarbeiter zeigt, die hier den wohl härtesten Job der Welt haben: Sie tragen den frischen Schwefel aus dem Krater heraus und den Berg hinab. Bis zu achtzig Kilo pro Lieferung schultern sie dabei, und das mit bescheidenem Schuhwerk und völlig ohne Atemschutz. Dabei ist die Luft im Krater so aggressiv, dass diesen Arbeitern nach einigen Jahren die Zähne vollständig korrodieren. Ach ja, heiß wird es tagsüber natürlich auch noch, von der Gefahr einer Eruption ganz zu schweigen.

Bleibt nur noch der Abstieg wenige Stunden später. Hinab aus der kargen Höhe, hinein in den Dschungel. Bergab ist es ein leichter Spaziergang. Und pünktlich für ein spätes Frühstück ist man wieder zurück in der Großstadt und kann sich wundern, wie nah solch unterschiedliche Welten beieinanderliegen können.


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Der Autor

Markus Lesweng

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