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#7 Wasserbüffel - Der beste Freund des Menschen

Es ist wichtig, mit Wasserbüffeln viel Gassi zu gehen. Büffel brauchen Auslauf, um zu fressen zum Beispiel. Wenn Sie eine Frau oder einen Mann unterwegs mit ihrem Büffel sehen, dann sind diese möglicherweise nicht auf dem Weg zur Arbeit, sondern der Weg ist das Ziel. Für den Büffel.

Das ist auch der Grund, warum man so häufig Wasserbüffel in Begleitung von Kindern sieht. Die Eltern können es sich nicht leisten, Büffelgassi zu machen, also schicken sie die Kinder los. Der kleine, auf dem Büffel ­reitende Junge ist kein Klischee, er erfüllt sozusagen eine Familienpflicht. Viele Kinder machen das sehr gerne: Der Wasserbüffel ist der beste Freund der Familie.

Unabdingbar ist der Büffel für die Feldarbeit. Noch immer wird das Feld vor allem mithilfe des Büffels umgepflügt. Wasserbüffel bekommen einfache Befehle gelehrt, wie »links« oder »geradeaus«. Jugendliche, die auf dem Land leben, besitzen zwar kein Motorrad, dafür können sie im Normalfall Büffel steuern. Hinzuzufügen wäre, dass die Büffel nicht nur den Worten folgen, sondern auch der Tatsache, dass der Befehl durch einen Zug am Strick durch den Ring in der Nase verstärkt wird.

Touristen müssen keine Angst vor Büffeln haben. Vietnamesische Hauswasserbüffel sind Menschen gewohnt. Sie können beim Ausweichen eine verblüffende Eleganz zeigen. Immer häufiger sieht man mittlerweile auf den Feldern im Hintergrund der Büffel auch einen Traktor fahren. Der kleine Traktor ist effizienter, allerdings auch teurer. Alleine kann sich keine Bauernfamilie einen Traktor leisten. Sie mietet ihn gegen Geld von Menschen, die Traktoren verleihen.

Der Nachteil eines solchen Traktors ist allerdings: Man kann mit ihm nicht spazieren gehen und auf seinem Rücken reiten kann man schon gar nicht.

(Autor: David Frogier de Ponlevoy)


#15 Kirschblüte - Die Schönheit der Vergänglichkeit

Die Kirschblüte ist das gewählte Symbol Japans. Es findet sich auf der 100-Yen-Münze, an jeder Straßenecke und im Kopf aller Japaner.

Die japanische Zierkirsche blüht nur einmal im Jahr für einige Wochen und trägt keine Früchte. Dass die Blüte nur für kurze Zeit existiert, macht ihre Faszination aus. Aber was macht die Kirschblüte für Japaner so einzig­artig?

Sie ist das Sinnbild für den Frühling und beginnt meist zwischen März und April, kann aber je nach Jahr auch schon mal im Februar oder sogar erst im Mai anfangen. In einer Welle verbreitet sich die Kirschblüte dann über das Land. Angefangen im Süden, wo die ersten Blüten zu ­sehen sind, wandert sie mit steigender Temperatur Richtung Norden. Fast zeitgleich mit dem Aufblühen der sakura ­endet das Fiskaljahr in Japan und es beginnt ein neues Schuljahr oder Semester an der Universität. Die Blüte ist also verknüpft mit der Idee von Aufbruch und Neubeginn, die sich zu diesem Zeitpunkt in der Gesellschaft wider­spiegelt.

Die Schönheit der Kirschblüte währt nur wenige Wochen­. Danach ist die Kirsche ein normaler, fruchtloser Baum. Die Vergänglichkeit dieser zerbrechlichen Blütenschönheit sehen­ die Japaner als Symbol für ihr Land. Es können Tsunamis die Häuser mitreißen, Erdbeben die Straßen verschlingen oder Taifune Regenschirme zerstören – alles ist flüchtig, ­alles kann wieder aufgebaut werden, nichts ist für die Ewigkeit. Nicht einmal die schöne Kirschblüte.

Jedes Jahr zum hanami, wörtlich »Blumen betrachten«, versammeln sich die Japaner mit Freunden, Familie oder Kollegen im Park. Treffpunkt ist am Baum unter der Kirschblüte. Man trinkt und isst zusammen, trinkt noch mehr und feiert die Blüte. Die Schönheit wird in der Gruppe genossen. Sie eint und bringt alle zusammen. Die Blüte macht alles vergessen. Wie auch das eine oder andere Bier, das man beim Betrachten trinkt.

Im Mai ist Japan ein Meer von rosa Kirschblüten. Man muss es sehen, wenn man das Land und seine Bewohner besser verstehen will.

(Autor: Fritz Schumann)


#61 Sangoma - Die Geister, die mich riefen

Credo hat einen hochbegehrten Studienplatz in Durban. Nur wenige Zulus seiner Gemeinde schaffen das. Mitten in seinem Lehramtsstudium ruft ihn seine Mutter an, nachdem sie einem seltsamen Traum hat, und bittet ihn, nach Zululand zurückzukehren, um wie sein Großvater ein Sangoma zu werden.

Absurd, denkt Credo, schließlich ist er mittlerweile nicht nur an einer Universität, sondern auch konvertierter Christ und hat dem Zulu-Weltbild »der Ignoranz und des Teufels« abgeschworen.

Kurze Zeit später wird Credo krank. Zuerst fühlt es sich wie eine schwere Grippe an. Er hat Fieber, aber das Fieber verschwindet nicht. Knoten bilden sich in seinem Hals, ein stechender Schmerz quält ihn im Magen, er kann nichts essen und verliert bald seine Kräfte. Die weißen Ärzte, die er konsultiert, bemerken zwar seinen schwachen, ausgemergelten Zustand, können aber nichts bei ihm diagnostizieren. Zu Credos körperlichen Symptomen gesellen sich Alpträume und Visionen hinzu, in denen verstorbene Ahnen und alte Zulu-Krieger zu ihm sprechen. Auf einmal stellt er fest, dass er die Gedanken anderer Menschen sehen kann und auch erfühlen kann, wenn sie etwas schmerzt.

Erst als Credo dem Calling (»Ruf«) seiner Ahnen folgt, seiner Gemeinde als Sangoma, als Mittler zwischen ihnen, den Nicht-mehr-Lebenden und den Lebenden zu dienen, bessern sich seine Symptome.

 

Sangomas sind die traditionellen Heiler, Gelehrten, Priester und Parapsychologen der schwarzen Völker Südafrikas. Sie diagnostizieren Krankheiten, indem sie die Ahnen ihrer Patienten befragen, und verschreiben dagegen das passende Muthi (»Kräutermedizin«). Diese Aufgabe suchen sie sich nicht selbst aus. Sie haben ein Calling und werden oftmals durch Krankheit und Visionen gezwungen, diesen Weg einzuschlagen. Über 80 Prozent aller Südafrikaner suchen mehrmals im Jahr einen Sangoma auf.

(Autorin: Elena Beis)


#26 Disziplin - Nur wer spurt, kommt vorwärts

Disziplin in China? Schon im Angesicht des Straßenverkehrs auf dem Weg vom Flughafen zum Hotel verliert der Besucher den Glauben an jegliches Regelwerk in China. Doch das Reich der Mitte kann auch anders ...

So anarchisch sich China in vielerlei Hinsicht gibt, so restriktiv ist das Schülerleben im Reich der Mitte: Vom morgendlichen Fahnenappell über den stundenlangen Frontalunterricht bis zur spätabendlichen Nachhilfe ist der Tag fest durchgeplant und vollgestopft mit einem Lernpensum, das ausländische Schüler sprachlos macht. Für Freizeit oder gar pubertäre Rebellion bleibt da nur wenig Platz. Vordergründig scheint dieser Ansatz durchaus erfolgreich zu sein: Als die Stadt Shanghai im Jahr 2009 erstmals am Pisa-Test teilnahm, landeten ihre Schüler weltweit auf dem ersten Platz. Hinter dem guten Ergebnis steckt allerdings ein enormer Aufwand – und viel Auswendiglernerei getreu der konfuzianischen Tradition »Lernen bedeutet rezitieren und kopieren«. So lange, bis man das Niveau des »Meisters« erreicht hat.

Am Ende dieser langen schulischen Durststrecke von zwölf Jahren steht die Universitätsaufnahmeprüfung gaokao. Ihr Ergebnis entscheidet nicht nur darüber, ob der Prüfling generell zugelassen ist, sondern auch, an welche Hochschule es ihn verschlagen wird und welche Fächer ihm offenstehen – ja manchmal sogar, wie gut seine oder ihre Chancen auf dem Heiratsmarkt stehen. Wer es auf eine der Elitehochschulen wie die Beijing-Universität oder die Qinghua-Universität schafft, braucht sich keine Sorgen um die berufliche Zukunft mehr zu machen. Kein Wunder, dass selbst sanftmütige Eltern zu Furien werden, wenn die Kinder das nötige Schulengagement oder die richtige Disziplin vermissen lassen. Ausländische Familien beschweren sich immer wieder, dass ihre Kinder keine Spielkameraden finden – was schlicht daran liegt, dass chinesische Kinder mit dem Eintritt in die Grundschule keine Zeit mehr für solchen unnützen Kram haben.

(Autor: Volker Häring, Co-Autorin von China 151: Françoise Hauser)


#27 Wiedervereinigung - Ein teurer Traum

Das Ministerium für Wiedervereinigung führt regelmäßig Gespräche mit Nordkorea. Ebenso regelmäßig werden diese durch Zwischenfälle unterbrochen. Die Kosten einer Wiedervereinigung werden auf 400 Milliarden Euro geschätzt, und der südkoreanische Steuerzahler fürchtet, diesen Betrag eines Tages zahlen zu müssen. Daher sind nur circa 35 Prozent der Südkoreaner für eine Wiederverengung von Nord und Süd.

Historisch und kulturell gesehen sind Nord- und Südkoreaner ein Volk. Sie sprechen die gleiche Sprache und lieben Kimchi. Doch die Erfahrungen mit Flüchtlingen aus Nordkorea haben gezeigt, wie gravierend die Unterschiede sind. Über die Jahrzehnte ist die Kluft zwischen dem diktatorischen Norden und dem hyperkapitalistischen Süden immer größer geworden.

Auch wenn sich das Ministerium für Wiedervereinigung gerne Rat aus Deutschland holt, vergleichbar ist die koreanische Situation nicht mit der zwischen West- und Ostdeutschland. Zumal die Staaten einen erbitterten Krieg gegeneinander führten. Außerdem haben die meisten Nordkoreaner so gut wie keine Möglichkeit, sich über den Süden zu informieren.

Nur eine schrittweise, jahrzehntelange Annäherung beider Länder könnte am Ende zu einer Wiedervereinigung führen. Daher ist der Plan des Ministeriums, zunächst für Frieden zu sorgen, dann eine Konföderation mit Nordkorea zu bilden und schließlich beide Staaten wiederzuvereinigen. In jedem Fall möchte der Süden aber einen Kollaps Nordkoreas vermeiden, denn dann würde der Albtraum südkoreanischer Steuerzahler mit Sicherheit wahr werden.

(Autor: Dennis Kubek, Co-Autorin von Korea 151: Bielle Kim)


#135 Tempelhaar - Ein haariges Geschäft

Umso näher der Wallfahrtsort Tirumala rückt, desto größer wird die Zahl der Glatzköpfe, auch unter den Frauen.

Die kahlen Köpfe sind ein ungewohntes Bild in diesem Land, wo fast alle Frauen ihre kräftigen Haare bis zur Hüfte tragen. Dabei ist es ein alter Brauch, das Haar als eines der wichtigsten Attribute weiblicher Schönheit zu opfern. Hier in Tirumala wird es Venkateswara, einer Inkarnation Vishnus, dargebracht. Die Gottheit erfüllt Wünsche, spendet Schutz und erwartet als Gegenleistung – Haare.

Auf dem Tempelgelände wimmelt es von Haarlosen jeden Alters und Geschlechts, im Tempel von Friseuren. 600 ihres Standes wetzen die Rasiermesser und scheren im Akkord die Köpfe kahl. Das Haar wird nach Geschlechtern getrennt. Das ist für die Weiterverwertung und den Verkauf an die Perückenindustrie wichtig, da die Preise sich an der Qualität des Haares orientieren.

Bei 20 Millionen Pilgern im Jahr fallen tonnenweise Haare an. In Tirumala fließt der Erlös aus dem Haargeschäft und Geld- sowie Schmuckspenden in die Tempelstiftung, die davon 14.000 Beschäftigte bezahlt, Krankenhäuser, Schulen und Wohlfahrtsprogramme unterhält. 2003 kamen allein aus dem Haarverkauf vier Millionen von insgesamt 116 Millionen Dollar Einnahmen zusammen, gab die indische Economic Times Einblick.

Das ungefärbte indische Haar steht bei der Haarindustrie hoch im Kurs. Nach dem Verkauf, chemischer Behandlung und Verarbeitung ziert es dann die Frauenköpfe in den USA und Europa. Bis zu 10.000 Dollar kostet eine handgeknüpfte Perücke aus feinstem Echthaar. Selbst wenn die Pilger davon Kenntnis hätten, was mit ihrem Haar geschieht, würde sie es kaum stören. Sie haben es der Gottheit geopfert, in der Hoffnung um seine Gunst. Außerdem wächst es wieder nach.

(Autorin: Andrea Glaubacker)


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