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Sei brav, mein Computer!

Warum man in Taiwan Chipstüten auf elektrischen Geräten platziert

Die Fettnäpfchenführer Taiwan-Autorin Deike Lautenschläger erzählt in unseren CONBOOK Stories, wie eng im technologisch fortgeschrittenen Taiwan Hightech und Aberglaube miteinander verbunden sind – und was Chipstüten damit zu tun haben.

 

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Wer verlässt sich schon gern auf die liebe Technik? Niemand. Sogar die Taiwaner nicht, obwohl die es eigentlich am ehesten müssten, schließlich sind ein Großteil aller Laptops weltweit und viele Computer-Chips »Made in Taiwan« und nahezu jeder kennt taiwanische Hightech-Marken wie Acer, Asus, BenQ, Foxconn und HTC. Auch die Computex, die größte IT-Messe in Asien, findet jährlich in Taipeh statt. Doch im technologisch fortgeschrittenen Taiwan koexistiert Hightech neben Aberglauben, überlieferten Traditionen und religiösen Überzeugungen, insbesondere auch bei Politikern, die auf die Gunst der Götter und andere Fügungen hoffen.

Die Insel des Hightech

Der Alltag in Taiwan ist digital. Eine App zeigt an, wann an der nächstgelegenen Haltestelle der Bus einfährt; Kassenbons scannt man mit dem QR-Code ein, um an einer Lotterie teilzunehmen; man zahlt schnell und bequem bargeldlos mit dem Smartphone; in ersten Geschäften trifft man keine Kassierer mehr an und checkt selbst an der Kasse aus und demnächst soll es gar selbstfahrende Busse in der Hauptstadt Taipeh geben ­­­– und das alles ohne Computerpannen, defekte Geräte oder technische Störungen.

乖乖! Guāiguāi! Sei brav!

Nur mein Laptop schien da eine Ausnahme zu sein – bis zu dem Tag, an dem mir ein taiwanischer Bekannter neben der Visitenkarte einer Computerreparatur noch eine Tüte Chips in die Hand drückte: »Probiere es mal damit!« Erst hielt ich es für einen schlechten Scherz, dann für ein Missverständnis, doch später erfuhr ich: Die kleine grüne Chipstüte, darauf ein Männchen mit schwarzem Hut, ist ein Allheilmittel gegen schwarz bleibende Computermonitore, spinnende Kopiergeräte, nicht druckende Drucker, Funktionsstörungen bei Servern oder Bankautomaten ... kurz: gegen jedes technische Malheur.

Dem Aberglauben nach haben diese Art Puffreis-Chips eine magische Wirkung, denn sie heißen Kuai Kuai (乖乖 guāiguāi), was wortwörtlich brav oder folgsam bedeutet, und damit bringen sie jedes widerspenstige technische Gerät zur Räson, wenn man sie darauf oder daneben platziert.

Korrekte Anwendung

Doch die richtige Platzierung ist nicht alles. Entscheidend ist die Geschmacksrichtung, allerdings weniger wegen des Geschmacks, sondern wegen der Farbe der Verpackung. Man sollte unbedingt Kokosnuss wählen, denn nur diese kommt in der grünen Tüte, die an das grüne Funktionslämpchen elektrischer Geräte erinnert und deshalb die magische Wirkung hat. Zwar versucht die Firma Kuai Kuai Co. Ltd. die Verkaufszahlen der anderen zwei Geschmacksrichtungen »Fünf-Gewürze« und »Schokolade«, die in gelben bzw. roten Tüten erhältlich sind, anzukurbeln, indem behauptet wird, dass Gelb für Reichtum und Rot für Liebe steht, doch in Taiwan kümmert man sich nur um die Funktionsanzeige und die sollte weder rot noch gelb anzeigen. Gelbe und rote Tüten bringen Unglück, also technisches Versagen, und werden zu Ladenhütern, denn diese Farben signalisieren Vorsicht und Alarm.

Dabei wird sich die Firma über ihre Verkaufszahlen an sich bestimmt nicht beschweren können, denn die Magie der grünen Tüte hat ein Verfallsdatum. Deshalb muss man sie regelmäßig auf ihr Haltbarkeitsdatum kontrollieren, denn ist das überschritten, soll der Zauber nachlassen oder gar ganz verschwinden. Ein- bis zweimal pro Jahr muss man also den Glücksbringer austauschen.

Außerdem soll sich zugetragen haben, dass unwissende ausländische Mitarbeiter den leckeren Snack aufgegessen und eine leere Tüte hinterlassen haben. Als dann eine technische Panne passierte, war der Übeltäter schnell gefunden. Deshalb bringen Firmen mit internationalen Angestellten seitdem Schilder auf Englisch an: »Don't eat!«

Der Aberglaube selbst soll von einem Studenten kommen, der an seiner Masterarbeit schrieb, als sein Computer verrückt spielte. Er soll daraufhin in seiner Verzweiflung zur Chipstüte gegriffen haben und sie auf seinen Computer gelegt haben – Problem gelöst, so wird zumindest die Geschäftsführerin Irene Liao (廖宇綺), deren Vater und Großvater das Unternehmen vor über 50 Jahren gründeten, zitiert.

Doch nicht nur Studenten, selbst große bekannte Firmen wie TSMC und Microsoft sowie die Taoyuan Rapid Transit Corporation (Taoyuan Airport MRT) verlassen sich auf das Abrakadabra des Puffreises und haben in der Vergangenheit sogar mit der Firma Kuai Kuai Co., Ltd. kooperiert, um mit Chipstüten in Sondereditionen einen reibungslosen technischen Ablauf zu garantieren. Erfolgreich, sollte man meinen, wenn man sich die Entwicklung der Firmen ansieht.

Nicht nur in deren Großraumbüros und Serverzimmern, sondern auch in Banken, Schulen und Universitäten, sowie in Ministerien, Forschungszentren und Krankenhäusern sollen die kleinen grünen Chipstüten schon gesehen worden sein. Und der Aberglaube hat es auch schon in die englischen Ausgaben taiwanischer Tageszeitungen und gar auf Wikipedia geschafft.

Was gegen Technikversagen hilft und vielleicht auch gegen Covid-19

Doch nun sollen die Puffreis-Chips noch ganz andere Wirkung zeigen: Bei der Geisterfest-Zeremonie der Stadtregierung von Neu-Taipeh am 18. August 2021 schrieb Bürgermeister Hou You-yi (侯友宜) Sätze wie »Delta, sei brav und bleib draußen« und »Pandemie, sei brav und bleibe fern« auf die Chipstüten, die er dann den Göttern und Geistern zum Verzehr anbot. Denn der Impfstoff gegen Covid-19 ist bisher noch knapp, da China es Taiwan erschwert, selbst Impfstoff zu bestellen. Da kann man sich nur auf Verbündete wie Japan, die USA, Litauen und die Slowakei verlassen, die Impfstoff spenden ... und eben auf die Götter.

 

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Hier geht es zum Fettnäpfchenführer Taiwan. Wie wichtig nicht nur der Name von einem Produkt ist, sondern auch der eigene Vorname und was alles bedacht werden muss, wenn man den Namen für sein Kind oder für sich selbst auswählt, können Sie im Buch nachlesen oder bei den CONBOOK Good Night Stories hören.


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Die Autorin

Deike Lautenschläger

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