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Ein Gespräch am Endje van der Welt

Eleonore Gühmann ist die Mutter unserer Autorin Sylvie Gühmann – und Vorbild für Sonja, die Protagonistin aus dem Fettnäpfchenführer Ostfriesland. Denn vor 30 Jahren wanderte sie, genau wie Sonja, von der Schwäbischen Alb nach Ostfriesland. Ein Gespräch zwischen Mutter und Tochter über Heimat, Fettnäpfchen und jede Menge Tee.

 

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Schon als ich klein war, ist meine Mutter oft mit mir auf der Bohrinsel gewesen. Jetzt stehen wir wieder hier, allein, auf der Betonplattform inmitten des Wattenmeers.

Der Himmel, die See, die Pflastersteine zu unseren Füßen, alles ein fließendes Grau. Über uns kreischen Wildgänse im Wind. Alles scheint, als wäre es seit Anbeginn der Zeit so gewesen. Hier, in Dyksterhusen in Ostfriesland, am »Endje van de Welt«, wie die Plattform auch genannt wird.

Am 19. April 2020 lebt meine Mutter 30 Jahre in Ostfriesland. Gebürtig stammt sie von der Schwäbischen Alb, womit sie mir bewusst oder unbewusst als Vorbild für meine Protagonistin Sonja und meine Ode an das Moin dient. Ein Interview über die Unsicherheit, ans andere Ende des Landes zu ziehen, und den Mut, den Begriff Heimat neu zu besetzen.

Sylvie Gühmann (SG): Da sind wir dann also, am »Endje van de Welt«. Wieso sind wir früher eigentlich so oft hierhergekommen?

Eleonore Gühmann (EG): Weil es hier so schön ist, findest du nicht auch? Der Ausblick, die Weite, der Wandel der Gezeiten zu den Füßen. Einmal, im Winter, war das ganze Wasser zu unseren Füßen gefroren, das war wunderschön. Genauso schön, wie wenn die Vögel im Frühjahr wieder über den Himmel ziehen.

SG: Hättest du mal gedacht, dass du dich in Ostfriesland so wohl fühlst?

EG: Ich wusste ehrlich gesagt nicht, was mich erwartet. Ob alles gut läuft, hängt von so vielen Faktoren ab. Ein Gedanke war natürlich, dass, wenn die Ehe mit deinem Vater scheitert, ich ganz allein am anderen Ende des Landes mit zwei kleinen Kindern sitze. Das war schon ein großer Schritt in Richtung Unsicherheit.

SG: Hattest du auch Vorurteile gegenüber den Einwohnern? Ostfriesenwitze gab es damals ja schon genug.

EG: (lacht) Vorurteile eigentlich nicht. Als ich dann aber hier war, da haben mich schon einige Dinge stutzig gemacht. Zum Beispiel das, was Ostfriesen »Kurven« nennen: Erstens musst du stundenlang fahren, bis überhaupt eine kommt, und zweitens ist die dann so mickrig, dass sie mir auf der Alb nicht einmal aufgefallen wäre. Da muss man aufpassen, dass man beim Fahren nicht einschläft. Und dann im Supermarkt: Bohnen in allen Variationen, was wollen die denn mit den ganzen Bohnen? Das kann doch nicht gesund sein. Und dass sie hier eine Ansammlung von drei Bäumen einen Wald nennen. Und spätestens bei meiner ersten Begegnung mit einem Ostfriesen habe ich dann schnell gemerkt: Ich bin zwar noch in Deutschland – aber schwätzen tun die nicht wie ich. Irgendwas ist hier ganz schön anders.

SG: Das sind alles Dinge, die mir ohne dich gar nicht aufgefallen wären. Für mich ist das normal, für mich ist Ostfriesland von Anfang an Heimat gewesen. Hast du dich in den letzten 30 Jahren daran gewöhnen können?

EG: Natürlich. Für mich ist Ostfriesland Heimat geworden. Ich mag die Weite und dass es hier nicht so hektisch wie anderswo zugeht. Alles ist beschaulich, mit den vielen Kühen auf den Weiden und den Schafen auf dem Deich. Wenn es Winter ist, vermisse ich die Tiere richtiggehend in der Landschaft, mir kommt sie dann so furchtbar kahl vor. Mittlerweile verstehe ich sogar Plattdeutsch und trinke gerne Tee statt Kaffee. Aber Teetrinken, das ist ja noch einmal ein ganz eigenes Kapitel. (schnauft)

SG: Na, so schlimm kann’s nicht sein, immerhin trinkst du den ja jeden Morgen.

EG: Ja, der schmeckt ja auch gut. Aber immer dieser Firlefanz: Löffel hierhin, Löffel dahin, Kandis statt Zucker, Sahne gegen den Uhrzeigersinn reinträufeln, Tassen statt Becher – und wenn dein Vater dann manchmal beim Tässchen halten noch seinen kleinen Finger abspreizt, als wäre er die Queen höchstpersönlich, dann könnte ich glatt aus dem Fenster springen. (beide lachen)

SG: Man kann eben nicht alles haben. Was fehlt dir denn ab und an?

EG: Hier, genau jetzt? (Sie lässt ihren Blick übers Wattenmeer schweifen.) Nicht viel. Nur manchmal, ganz selten, da fehlen mir die schroffen Felsen, die wuchtigen Burgen, die an ihnen kleben – und natürlich meine Spätzle. Jetzt gerade aber hätte ich nichts gegen eine Kanne Tee einzuwenden, mit dem Wind wird’s allmählich kalt. Meinetwegen auch aus deinen Tassen.

 

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Sie sind neugierig, was Sonja alles in ihrer neuen Heimat Ostfriesland erlebt und vor allem, in welche Fettnäpfchen sie dabei tritt? Hier geht es zum Fettnäpfchenführer Ostfriesland von Sylvie Gühmann!


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Die Autorin

Sylvie Gühmann

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Die Geschichte hinter den Fettnäpfchenführern