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Als deutscher Journalist in Japan

Fritz Schumann, Autor des Bildbandes Japan 151, erzählt uns von seinen Anfängen in Tokio und wie Journalismus in Japan manchmal funktioniert.

 

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Im Sommer 2009 zog ich nach Tokio und brachte nicht viel mit. Meine Japanischkenntnisse waren überschaubar, ich kannte niemanden in der Stadt und abseits von Schüler- oder Lokalzeitungen hatte ich noch nicht viel Erfahrung in der Medienbranche. Aber ich hatte meine Kamera und ein unbezahltes Praktikum beim Metropolis-Magazine in Tokio. Es war damals das größte englischsprachige Magazin in der Stadt, welches kostenfrei dort auslag, wo viele Ausländer unterwegs waren, zum Beispiel bei der Touristeninformation oder in Sprachschulen.

Mein erster Auftrag nach der Landung in der größten Metropole der Welt war relativ simpel: Eine Rolltreppe fotografieren.

Der japanische Bahnbetreiber JR hatte im Bahnhof Akihabara eine neue Rolltreppe installiert, die jetzt im heißen Sommer vaporisiertes Wasser auf die Passagiere sprühen sollte, um sie und den Bahnhof abzukühlen. Heute sieht man das häufiger in Japan, damals war das jedoch neu und die Redaktion wollte ein Foto für ihre Technik-Rubrik. Unerfahren und frisch wie ich war, machte ich gleich 300 Bilder. Ungefähr zwanzig Mal fuhr ich die Rolltreppe rauf und runter – ich wollte meinen ersten Job ja gut machen.

Japan durch die Kamera entdecken

Die Redaktion setzte mich je nach Bedarf ein, zum Beispiel bei einer Mini-Demonstration von PETA in Shibuya, wo drei junge Frauen nur in Kohl bekleidet Schilder hochhielten, auf denen »Werdet vegetarisch!« auf Englisch stand.

Bemerkenswert war auch das Interview mit Professor Hiroki Azuma, einem Popkultur-Kritiker. Da ich zu diesem Zeitpunkt kein einziges Wort verstand, konzentrierte ich mich eher auf seine Körpersprache, und der Redakteur, den ich begleitete, stellte die Fragen. Am Ende hatte ich eine ganze Galerie von Gesten und Mimen, die das Magazin auf einer Doppelseite abdruckte.

Körpersprache lesen – das habe ich in Japan durch solche Aufträge schneller gelernt als die Schriftzeichen. Der Professor war mit den Bildern weniger zufrieden als die Redaktion. Seine Managerin schrieb mir, ob ich denn Bilder hätte, wo er etwas dünner aussehe. Damit konnte ich leider nicht dienen.

Irgendwann reichte es mir nicht mehr, nur auf den Anruf der Redaktion zu warten, und ich schlug mein erstes Thema vor: Das Fujiya Hotel nahe Tokio wurde 1891 erbaut und mischte japanische Holzbauweise mit westlichem Stil. Bis heute ist es ein Hotel der Spitzenklasse, in dem auch Albert Einstein oder John Lennon übernachteten. Die Redaktion willigte ein – unter der Voraussetzung, nichts dafür bezahlen zu müssen. Das Hotel willigte ebenfalls ein – in der Hoffnung, groß gefeatured zu werden.

Ich nahm eine Freundin mit, die mir assistierte, und wir beide bekamen ein riesiges Zimmer gestellt, das sonst 400 Euro die Nacht kostete. Der Aufenthalt war am Ende doch mehr Arbeit als Erholung, da ich das gesamte Hotel durchfotografierte.

Journalismus und Politik in Japan

Für ausländische Medien gibt es in Tokio den Foreign Correspondent Club Japan (FCCJ), eine 1945 gegründete Institution, wo regelmäßig Pressekonferenzen stattfinden. Dort meldete ich mich für ein Luncheon mit dem damaligen Außenminister Katsuya Okada an. Damals war ich 21, weit unter dem Altersdurchschnitt der anderen Gäste, und den seriösen Dresscode hatte ich auch eher frei interpretiert. Einer Dame am Empfang war ich daher suspekt:

»Hallo, mein Name ist Fritz Schumann. Ich hatte mich für das Luncheon angemeldet.«

– »Okay, sind Sie Mitglied?«

»Nein.«

– »Kommen Sie von der Botschaft?«

»Nein.«

– »Okay, arbeiten Sie fest für eine ausländische Redaktion?«

»Nein."

– »Aber Sie sind Journalist?«

»Ja, das bin ich.«

– "Haben Sie eine Visitenkarte?«

»Nein.«

– »Sind Sie sicher, dass Sie Journalist sind?«

»Ja, wollen Sie meinen Presseausweis sehen?«

– "Nein, das geht schon Ordnung. Der Raum ist da hinten, danke.«

Im Raum gab es viel graues Haar und gedeckte Tische. Ich wusste nicht so recht wohin, also fragte ich einen älteren Herren, wo ich denn sitzen sollte. Er fragte mich: »Sind Sie Journalist?«

Als ich bejahte, nahm er mich beim Arm und führte mich zu den Pressetischen. Dann betrat Herr Okada das Podium. Er bekam vom FCCJ-Präsidenten ein grünes Tuch geschenkt. Okada freute sich, auch weil er, so fügte er hinzu, leidenschaftlich Frösche sammele und alles, was dazugehöre – und die Farbe erinnere ihn an Frösche.

Es ging um Nordkorea, um Amerika und seine neue Außenpolitik. Neben den ausländischen Gästen waren auch japanische Journalisten geladen. Die Konferenz wurde simultan übersetzt. Japanische Journalisten sind bei Themen, die Japan betreffen, immer recht, nun ja, »höflich«. Es wird selten kritisch berichtet oder nachgefragt. Ein großes Problem sind dabei die kisha clubs – sogenannte Presseklubs.

Vertreter aus der Politik oder der Wirtschaft haben jeweils einen eigenen kisha club, denen ausgewählte Vertreter der Presse angehören. Das gibt den Medien exklusiven Zugang und schnelle Informationen – schließt aber gleichzeitig auch andere Journalisten aus. Da man es sich tendenziell nicht mit seiner Quelle verscherzen möchte, bleibt man als Mitglied des kisha club höflich. Kritik ist so eher schwierig.

In Deutschland gibt es sicherlich vergleichbare Beziehungsgeflechte von Politik, Wirtschaft und Journalismus. Aber so systematisch, wie sie in Japan gelebt und benutzt werden, ist das schon außergewöhnlich. Kisha clubs werden innerhalb und außerhalb des Landes kritisiert.

2018 nannte Reporter ohne Grenzen das System kisha club als Hauptgrund, warum Japans Pressefreiheit auf Platz 67 von 180 liegt. »Für Journalisten ist es dadurch schwierig, ihre Rolle als vierte Gewalt auszuüben«, sagten sie. Kleine Medien, Freelancer und ausländische Medien sind von einer Mitgliedschaft in einem kisha club ausgeschlossen.

Kleine und große Recherchen

Trotz aller Schwierigkeiten: Ich hatte als Jungjournalist in Tokio riesige Chancen und spannende Themen. Ein paar Monate nach dem Lunch mit dem Außenminister war ich wieder im FCCJ. Der Dalai Lama war zu Gast, den ich 2008 bei einer Kundgebung in Berlin sah. Hier gab ich ihm nun die Hand. Er sagte: »Ihr Journalisten solltet eine lange Nase haben wie ein Elefant. Erschnüffelt alles.«

Je länger ich als deutscher Journalist in Japan arbeitete, desto mehr Themen entdeckte ich. Regelmäßig begleitete ich Autor Patrick Galbraith bei seinem neuen Buchprojekt über die Popkultur Japans. Da gab es dann auch ein Wiedersehen mit Professor Hiroki Azuma, der sich noch an mich erinnerte. Besonders dann, als ich die Kamera rausholte: Diesmal zog er den Bauch ein.

Ich berichtete auch viel für kleine deutsche Medien. In einem Manga-Magazin hatte ich eine Rubrik, in der ich die Stadtteile Tokios vorstellte und dadurch auch für mich selbst entdeckte. Als erster deutscher Journalist interviewte ich den exzentrischen Erfinder Dr. Nakamats. Über Wochen schrieb ich an einem Portrait über Shun Akiba, der seit Jahrzehnten behauptete, es gebe geheime Tunnel unterhalb von Tokio – ohne sie beweisen zu können. Und ein zufälliges Foto wurde zum Coverbild vom Japanzine Magazine.

Nach dem ersten Jahr als deutscher Journalist in Japan kehrte ich wieder nach Berlin zurück. Ich hoffte, dort ähnlich aufregende Aufträge und Recherchen machen zu können – doch Pustekuchen. Nicht nur deswegen kehrte ich immer wieder nach Japan zurück. Nach dem verheerenden Erdbeben in Nordjapan war ich in Fukushima und traf mich mit Demonstranten in Tokio. 2013 machte ich eine kleine Geschichte über Imker auf den Hochhäusern von Tokio. Ich besuchte das Dorf der Puppen Nagoro und mein Film verbreitete sich viral online.

Seit mehr als zehn Jahren reise ich nun regelmäßig für kleine und große Recherchen nach Japan. Mein Japanisch ist natürlich sehr viel besser geworden und meine Erfahrungen im Land helfen mir enorm dabei, unbekannte und ungewöhnliche Themen zu finden. Auch die nächsten zehn Jahre werde ich Japan weiter entdecken – und darüber schreiben.

(Alle Bilder stammen von Fritz Schumann.)

 

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Hier geht es zu Fritz Schumanns Kulturführer Japan 151 – Ein Land zwischen Comic und Kaiserreich in 151 Momentaufnahmen.


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Der Autor

Fritz Schumann

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